Für seine einsame und einzigartige Entscheidung, zurückzutreten, wird Papst Benedikt XVI. nochmals viel Anerkennung ernten, meint der StZ-Redakteur Mirko Weber. Doch er war den Herausforderungen seines Amtes nicht immer gewachsen.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Selbst wer „religiös unmusikalisch“ ist, wie der große Denker Jürgen Habermas das für sich und andere freundlich formuliert hat, kann sich oft gewissen Zeichen nicht verschließen, mögen sie nun einer höheren Ordnung folgen oder nicht. Als ein solches Zeichen könnte man nehmen, dass Papst Benedikt XVI. die Ankündigung seines Rücktritts am Rosenmontag ausspricht, an dem sich in vielen europäischen Ländern im Fasching kurz vor Aschermittwoch betont heidnische Bräuche breitmachen. Man tanzt da ja immer auch im Bewusstsein, dass der Tod (nach katholischer Glaubenslehre) zwar Erlösung bereithält, aber jeweils auch simpel das individuelle Ende auf der Erde bedeutet: Schluss mit lebenslustig.

 

Über praktische Bezüge hinaus – ein neuer Papst kann vom Konklave in Rom rechtzeitig vor Ostern gewählt werden – drängt sich auch noch ein anderer biografischer Bezugspunkt auf. Am Freitag vergangener Woche ist im Alter von 91 Jahren Kurt Hübner gestorben, ein in Prag geborener Philosoph, dessen Werke Papst Benedikt schon immer außerordentlich wertschätzte und förderte.

Vernunft und Glaube müssen korrelieren

Von Hübner unter anderen hatte der Theologe Joseph Ratzinger Thesen zu einem Gedankenmodell bekommen, um das er auch als Papst Benedikt XVI. immer wieder rhetorisch kreiste. Wohl wissend, dass „Pathologien in der Religion“ existieren, die es nötig machen, „das göttliche Licht der Vernunft sozusagen als Kontrollorgan anzusehen“, zeigte er sich überzeugt, dass es auch „Pathologien der Vernunft“ gebe. Gegen eine solche „Hybris der Vernunft“ – ein Beispiel dafür war stets die Atombombe – helfe der Glaube. Vernunft und Glaube, das war Ratzingers Credo, könnten, ja müssten korrelieren. So weit – und stark verkürzt – die Theorie.

Es traf nun aber der selbst apostrophierte „einfache Arbeiter im Weinberg des Herrn“, als der Papst Benedikt XVI. – innerlich schon auch widerstrebend – im April 2005 antrat, auf einen Grund, der praktisch schwer zu beackern war. Keiner wusste das besser als der deutsche Papst selber. Er kannte seine Scheu und seine Abneigung vor zu großer Show. Andererseits hatte er in der letzten Zeit unter dem todkranken Johannes Paul II. dermaßen viele vatikanische Fäden in der Hand, dass die Mitbrüder vom hohen Klerus ihre Kirche bei ihm vorläufig am besten aufgehoben sahen. Doch nicht immer war der Wissenschaftler Ratzinger dem Amt des Papstes Benedikt gewachsen.

Den Status quo wollte Benedikt konservieren

Als er bei seiner ersten umfänglichen Deutschlandreise in Regensburg den Propheten Mohammed fast ketzerisch und jedenfalls sehr von oben herab problematisierte, stand er zwar in einem Hörsaal auf vermeintlich sicherem Boden, brachte aber das empfindliche Gefüge zwischen den Weltreligionen augenblicklich schwer ins Wanken. Entsprechende Bemerkungen zur Ausnahmestellung des Katholizismus beförderten den Gedanken der Ökumene auch nicht unbedingt. Trotz vieler Auslandsreisen und Initiativen ist Benedikt XVI. den Ruch nicht losgeworden, dass er in vielen Positionen am liebsten den Status quo, wenn nicht den Status quo ante der Kirche konserviert hätte. Katastrophal war darüber hinaus, wie lange es dauerte, bis sich Rom den monströsen Missbrauchsfällen in der Kirche stellte.

Für seine sehr einsame, kirchenhistorisch fast einzigartige Entscheidung wird Papst Benedikt XVI. Mut gebraucht haben, der ihm aber umgekehrt noch einmal hohe Anerkennung garantiert. Seine Kirche könnte diesen Akt als Zeichen verstehen: mit einer quasirevolutionären, souveränen Geste gibt das Oberhaupt zu verstehen, dass Vernunft und Glauben sehr wohl auf einen Nenner gehen. Nur derart reformiert und belebt wird die katholische Kirche im Auftrag von Jesus Christus im 21. Jahrhundert ankommen können, ohne sich mit der Zeit gemein machen zu müssen.