Die Bundesregierung muss im Syrienkonflikt stärker Verantwortung übernehmen. Dazu gehört die Aufnahme von mehr Flüchtlingen, meint StZ-Redakteur Matthias Schiermeyer.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Die Nachbarn Syriens tragen schwer an der Last des Bürgerkriegs. Vermutlich sind viel mehr Syrer auf der Flucht ins Ausland als die 250 000, die bisher registriert wurden – und es kommen täglich weitere, um dem Blutvergießen zu entrinnen. Die Regierungen in der Türkei, im Libanon, Jordanien und im Irak sind mit den infrastrukturellen und politischen Problemen überfordert. Die Berichte aus den Lagern werden immer bedrückender.

 

Und wir? Deutschland ist etwa 3000 Kilometer vom Krisenherd entfernt. Da scheinen die Politiker gerade der schwarz-gelben Koalition immer noch der Ansicht zu sein, die Lage in Ruhe beobachten zu können. Wegducken ist jedoch der falsche Ansatz, weil wir uns schon aus Gründen der Mitmenschlichkeit den Folgen des Bürgerkriegs nicht entziehen können.

Hilflos gegenüber Moskau und Peking

Die Bundesregierung gehört zu den klaren Verfechtern einer Verhandlungslösung in Syrien. Sie lässt jeglichen Durchsetzungswillen gegenüber den Komplizen des Massenmörders Assad in Moskau und Peking vermissen, die eine solche Lösung mühelos verschleppen. Russland und China wollen so lange militärischen Druck verhindern, bis die Rebellen besiegt und das Land „gesäubert“ ist, wie der Zyniker Assad sagt. Außer folgenlosen Mahnungen hat die westliche Gemeinschaft wenig entgegenzusetzen. Wer aber den Diktator nicht dazu zwingen will, seine Panzer zu stoppen, ist mitverantwortlich für Tausende von neuen Opfern. Unbedingt nötig scheinen Schutzkorridore für Flüchtende sowie Flugverbotszonen, um Assads Luftwaffe zu entschärfen. Die Bundesregierung hält sich zurück. Sie müsste mit Frankreich Vorreiter einer entschlossenen europäischen Strategie sein – nicht nur Mitläufer.

Desinteresse kann man dem Außenminister nicht vorwerfen. Guido Westerwelle unterstützt Assads Gegner bei der Bildung einer Übergangsregierung. Und an diesem Wochenende nimmt er ein jordanisches Elendsquartier in Augenschein. Der Liberale, der gerade den Wandel zum seriösen Staatsmann versucht, ist das einzige Regierungsmitglied, das sich glaubwürdig für die syrische Bevölkerung einsetzt. Das reicht bei Weitem nicht aus, zumal auch Westerwelle wie ein Getriebener der Katastrophe wirkt. Weiß er die kurze deutsche Präsidentschaft im geradezu gelähmten UN-Sicherheitsrat zu mutigen Initiativen zu nutzen? Zweifel sind angebracht.

Vorrangig ist die Unterstützung vor Ort

Keine Frage: vorrangig muss die Bundesregierung die Nachbarn Syriens mit Geld, Material und Experten unterstützen, damit sie die Not an ihren Grenzen selbst in den Griff bekommen. Von dort aus können die Syrer zügig zurückkehren, wenn die Waffen ruhen. Um die Aufnahme von mehr Flüchtlingen kommt Deutschland jedoch nicht herum. Dazu ist Berlin auf die Länder und Kommunen angewiesen, die ausreichend Unterkünfte bereitstellen müssen.

Zurückgreifen lässt sich auf Erfahrungen, die vor vier Jahren im Fall Irak gemacht wurden. Notwendig ist ein schneller Ausbau der schon jetzt überlasteten Aufnahmestellen. Eine langwierige Debatte über rechtliche Voraussetzungen für die Einreise, über Religionszugehörigkeiten und die Frage, wie viele Flüchtlinge eine sichere Bleibe finden sollen, wäre inhuman. Auch wer auf ein abgestimmtes Vorgehen Europas pocht, will womöglich nicht wirklich helfen, sondern auf Zeit spielen.

Viele Flüchtlinge gehen freiwillig zurück

Die Sorge vor einer Welle von Asylanträgen lässt sich dämpfen: Auch aufgrund von Förderprogrammen kehren viele Flüchtlinge der Bundesrepublik in absehbarer Zeit freiwillig den Rücken – zumal die Syrer nicht wegen eines besseren Lebens das Weite suchen, sondern aus nackter Angst. Es mag pathetisch erscheinen, doch der Syrienkonflikt lehrt: Die Welt darf nicht nur von wirtschaftlichen Beziehungen zusammengehalten werden, sondern muss sich auch in Notsituationen wie dieser als eine geeinte Welt erweisen – daran mangelt es.