Die Bundesregierung muss auf die neuen Herausforderungen durch die veränderte Weltlage reagieren. Das heißt, dass die Verteidigungspolitik im Etat eine höhere Priorität erhalten muss, kommentiert die StZ-Redakteurin Bärbel Krauß.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Dass Politiker Positionen, die sie einmal hatten, plötzlich vergessen, kommt nicht gerade selten vor. Das ist immer provozierend, denn Transparenz und Vertrauen in der – und in die – Demokratie haben auch etwas mit Konsistenz zu tun. Dabei kann der schnelle Meinungswechsel sogar richtig sein, wenn die Ausgangslage für politisches Handeln, nämlich die Wirklichkeit, sich verändert hat. Aber dass die Kanzlerin und die Verteidigungsministerin nur Stunden nach dem Ende des Nato-Gipfels kaltschnäuzig erkennen lassen, dass sie nicht die leiseste Absicht haben, das in Wales bekräftigte Zwei-Prozent-Ziel einzuhalten, ist atemraubend.

 

Dabei geht es um die Selbstverpflichtung der Nato-Partner, zwei Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für die Verteidigungsetats und mithin in die Sicherheitsvorsorge zu investieren. Diese Absichtserklärung ist alt, die meisten europäischen Nato-Staaten haben sie in den Zeiten des Sparens verfehlt; auch Deutschland liegt mit 1,3 Prozent deutlich unter der angepeilten Marke. Erneuert wurde das Bekenntnis zu diesem militärischen Investitionsniveau von den Nato-Staaten beim Gipfel aber nicht, weil das zur Bündnisfolklore gehört und ohnehin alle Beteiligten wissen, dass sie unter der Messlatte hindurchlaufen werden. Erneuert wurde das Zwei-Prozent-Ziel, weil Russlands Bereitschaft, seinen Einflussbereich im Osten Europas notfalls auch mit militärischen Mitteln auszuweiten, von der Allianz eine intensivere Sicherheitsvorsorge erfordert. Dass Putin gegen einen Nato-Staat so vorgehen könnte, wie er es in der Ukraine tut, ist aus heutiger Sicht unwahrscheinlich. Ausgeschlossen ist es aber nicht. Und vorausschauende Sicherheitspolitik muss nun einmal auch Vorsorge für mögliche Gefahren treffen.

Von der Leyen erweckt fatalen Eindruck

Das hat die Nato mit ihren Beschlüssen zum Etat und zu einer schnellen Eingreiftruppe gemacht. Die Bundesregierung darf sich diesem Auftrag nicht einfach entziehen. Diesen fatalen Eindruck erweckt Ursula von der Leyen aber, wenn sie lapidar darauf verweist, dass Deutschland schon der zweitgrößte Nettozahler im Bündnis sei und andere Länder das Nato-Ziel nur erreichten, weil deren Wirtschaftsleistung schrumpfe. Vollends absurd wird es, wenn die Kanzlerin auch noch erklären lässt, von der Leyen habe dazu das Nötige gesagt.

Das hat sie nicht einmal im Ansatz. Sie tut so, als sei verteidigungspolitisch alles in Butter und als könne die Bundeswehr alles, was sie können muss, um die Sicherheit Deutschlands gegen Gefahren zu verteidigen. Das stimmt aber nicht. Diese Analyse taugte – allerdings auch nur mit Abstrichen – vielleicht für die Sicherheitslage vor der Annexion der Krim durch Russland. Doch die Wirklichkeit hat sich so gravierend verändert, dass dies auch die Prioritätensetzung dieser Regierung berühren muss.

Die Prioritäten müssen neu austariert werden

Es genügt nicht, die alten Mantras weiter herunterzubeten. Die Union räumt dem ausgeglichenen Etat, die SPD der sozialen Gerechtigkeit Priorität ein. Dass Bildung Vorrang habe, predigen beide Koalitionäre. Legitim sind diese Ziele. Angesichts der veränderten Weltlage muss aber auch die äußere Sicherheit wieder Vorrang erhalten. Die Prioritäten müssen neu austariert werden. Mit einer raschen Finanzspritze lassen sich die Rüstungsprobleme der Truppe nicht völlig beheben. Viele Waffensysteme sind bestellt; erst wenn sie geliefert werden, entschärfen sich manche Defizite.

Doch das entlässt die zuständige Ministerin nicht aus der Pflicht, ernsthaft zu erklären, was die deutsche Verteidigungspolitik beiträgt, um Sicherheitslücken in Osteuropa zu schließen. Deshalb muss die vorsorgende Verteidigungspolitik keinen Vorrang vor der schwarzen Null im Etat bekommen. Aber darlegen, wie sie der veränderten Lage militärisch und finanzpolitisch Rechnung trägt, muss die Bundesregierung schon. Damit haben von der Leyen und Merkel noch nicht einmal angefangen.