Bin Laden war mehr als ein Terrorist, Al- Qaida ist mehr als eine Terrororganisation. Al-Qaida verfolgt das Fernziel, überall in der Welt Machtverhältnisse nach ihren Regeln zu schaffen, man mag es Gottesstaat nennen, in der Praxis sind es anarchistische, wenig strukturierte Gebilde, in denen ideologisch motivierte Gewalt, Unterdrückung und Grauen herrschen. Al-Qaida hat an Macht verloren. Aber sie hat noch immer Macht. Es gab und es gibt verstreut über die Welt Parzellen, in denen Al-Qaida faktisch herrscht - Parzellen der Tyrannei.

 

Natürlich wäre es besser gewesen, bin Laden nicht zu töten, sondern festzunehmen und ihm den Prozess zu machen. Wenn es streng nach dem Lehrbuch gegangen wäre, hätte der Terrorist auch noch vor der Todesstrafe bewahrt werden müssen. Das sind die selbst gesetzten Regeln in einer freien Welt, die eingehalten werden müssen gegenüber jedermann. Im Prinzip jedenfalls. Die USA waren dazu nicht stark genug gewesen, sie haben sich dafür nicht stark genug gefühlt. Die Tötung bin Ladens ist ein Zeichen der Schwäche. Und sie belegt die realen Machtverhältnisse.

"Erst kommt das Fressen, dann die Moral"

In der alltäglichen Realpolitik werden die selbst gesetzten Regeln allzu oft missachtet und die Moral gering geschätzt. Dagegen anzugehen ist eine immerwährende Aufgabe. Aber es gibt in extremen Ausnahmefällen auch eine Grenze, jenseits der die Durchsetzung der eigenen Regeln zur blanken Ideologie wird und selbst Unrecht schafft. Der olle Bert Brecht hatte schon recht: "Erst kommt das Fressen, dann die Moral." Das gilt auch für Barack Obama und die Weltmacht USA. Mehr zu verlangen hieße Übermenschliches zu verlangen.