Der Fall von Gustl Mollath, der seit sieben Jahren in der Psychiatrie eingesperrt ist, ist ein Justizskandal. Er zeigt, dass die Justiz sich Strukturen geschaffen hat, die es schwer machen, Fehler zu erkennen, kritisiert StZ-Redakteur Stefan Geiger.

Stuttgart - Gustl Mollath ist seit sieben Jahren in der Psychiatrie eingesperrt. Das Landgericht Nürnberg hat ihn 2006 dorthin gezwungen. Andere Richter haben danach Jahr für Jahr verhindert, dass er freikommt. Jetzt wird wohl neu überprüft werden, ob Mollath tatsächlich krank ist, vor allem aber, ob er so gefährlich ist, dass die Allgemeinheit auf diese radikale Weise vor ihm geschützt werden muss. Hätten Medien den Fall nicht publik gemacht, nichts hätte sich geändert.

 

Der Fall Mollath ist ein Justizskandal, nicht etwa, weil bereits bewiesen wäre, dass diesem Mann unsägliches Unrecht zugefügt worden ist. Der Fall ist ein Skandal, weil das Gericht vorurteilsbeladen und befangen war, weil es leichtfertig geurteilt hat. Hätten die Richter getan, was ihre Pflicht ist, hätten sie festgestellt, dass Mollaths Behauptung, seine Frau sei in eine gigantische Schwarzgeldgeschichte verstrickt, eben kein Teil seines „paranoiden Gedankensystems“ war, sondern im Kern die Wahrheit. Sie hätten dann erörtert, dass das angebliche Opfer deshalb ein großes Eigeninteresse daran haben konnte, den Mann für verrückt zu erklären.

Die schlimmsten Fälle werden nie bekannt

Der Fall Mollath ist ein Justizskandal, weil ein Richter damals andere Institutionen beeinflusste; weil deshalb Staatsanwaltschaft und Finanzbehörden nicht so prüften, wie es richtig gewesen wäre. Der Fall ist schließlich auch deshalb ein Skandal, weil andere Richter, auch Sachverständige unfähig waren, die Fehler ihrer Kollegen zu erkennen und zu korrigieren.

Es handelt sich um das Versagen einzelner Menschen. Aber es gibt mehr solche Fälle. Es gibt die Bauernfamilie, die in Haft geschickt wurde, weil sie den Familienvater mit einem Hammer erschlagen und die Leiche an Tiere verfüttert haben sollte. Jahre später wurde die Leiche des Mannes entdeckt, die keine entsprechenden Verletzungen aufwies. Es gibt Harry Wörz, der vor seinem Freispruch elf Jahre wegen des Vorwurfs im Knast vegetierte, er habe seine Frau zu töten versucht. Es gibt den Lehrer, der niemals wegen einer von einer notorischen Lügnerin behaupteten Vergewaltigung hätte verurteilt werden dürfen. Die schlimmsten Fälle, so ist zu befürchten, werden nie bekannt werden. Es sind Einzelfälle, aber keine Zufälle.

Richterliche Fehler lassen sich kaum nachweisen

Für all diese Fehlurteile gibt es auch strukturelle Ursachen. Bis in die sechziger Jahre hinein gab es Ärzte, die sich für Halbgötter in Weiß hielten. Diese Ärzte leisteten meist gute Arbeit so wie auch heute die meisten Richter. Die Ärzte hatten ein hohes Ethos so wie die Richter heute auch. Das Problem vieler Ärzte aber war, dass sie unter dem Mangel an Selbstzweifeln litten und sich nicht vorstellen konnten, einen Fehler zu machen. Denn sie hatten sich in Strukturen eingerichtet, die externe Kontrollen nicht kannten und es schon deshalb erschwerten, Fehler zu erkennen.

Den Ärzten wurde dies ausgetrieben – durch die Rechtsprechung. Sie müssen sich heute für ihre Fehler verantworten, und sie kennen deshalb auch ihre Fehleranfälligkeiten. Fast allen Berufsgruppen geht das in Deutschland heute so, bis hin zu den Managern, die sich auf der Basis einer ausufernden Rechtsprechung zur Untreue verantworten müssen. Nur bei einer einzigen Berufsgruppe hat sich nichts geändert. Die Richter sind heute die Halbgötter in Schwarz.

Die Strukturen der Strafprozesse, die noch nicht einmal ein Wortprotokoll zulassen, sind so, dass sich richterliche Fehler kaum nachweisen lassen. Die Hürden für Wiederaufnahmeverfahren, in denen Fehler korrigiert werden könnten, sind kaum überwindbar. Richter haften selbst für eklatante Fehlleistungen nicht. Und sie werden strafrechtlich nicht zur Rechenschaft gezogen. Die Rechtsbeugung ist das einzige Delikt, das in der Praxis nicht verübt werden kann.

Man muss das ändern.