Zum Jahreswechsel dürfen auch Rumänen und Bulgaren in der ganzen Europäischen Union ohne Beschränkungen leben und arbeiten – so wie die anderen EU-Bürger. Vorurteile helfen jetzt nicht weiter, meint der StZ-Autor Matthias Schiermeyer.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Zum Jahreswechsel schlägt wieder die Stunde der Populisten. Dann dürfen auch die Rumänen und Bulgaren in der ganzen Europäischen Union ohne Beschränkungen leben und arbeiten – so wie die anderen EU-Bürger. Und sagen wir es offen: Unter denen, die diese Chance nutzen werden, dürften viele Roma sein. Ein Teil dieser Neubürger wird irgendwann staatliche

 

Hilfsleistungen beziehen – in Städten wie Mannheim oder Duisburg, die mit der verstärkten Zuwanderung ohnehin schon belastet sind. Kurz: für reichlich Empörungspotenzial ist gesorgt. Mit Blick auf die Europawahl im Mai dürfte mancher Politiker sein Süppchen darauf kochen.

Einer von denen, die das Unbehagen konservativer Wählerschichten schon artikuliert haben, ist nicht mehr im Amt: Ex-Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hat noch kürzlich einen strikten Kurs gegenüber Rumänen und Bulgaren angedroht, die wegen der Sozialleistungen nach Deutschland kämen – die Möglichkeit zur Ausweisung inklusive. Sein Vorgänger und Nachfolger Thomas de Maizière pflegt bekanntlich einen weniger effektheischenden Ton, was auf mehr Sachlichkeit in der Debatte hoffen lässt. Ein Blick nach Großbritannien lehrt, dass die Dinge leicht aus den Fugen geraten. Dort sagt Premier David Cameron in platter Rhetorik armen Einwanderern aus Südosteuropa den Kampf an und fordert eine Änderung der EU-Verträge, um die Freizügigkeit einzugrenzen. Dies würde darauf hinauslaufen, ein Grundprinzip der Union zu beseitigen.

Sachlichkeit ist zwingend geboten

Es beweist, wie wichtig es ist, die Diskussion hierzulande in ruhige Bahnen zu lenken. Dann dringt beispielsweise durch, dass Rumänen und Bulgaren den Sozialstaat bisher vergleichsweise wenig belasten. Lediglich jeder Zehnte von ihnen bezieht Hartz IV – mehr als die Deutschen im Durchschnitt, aber weniger als andere Ausländergruppen. Zudem kommen großteils keine Armutsflüchtlinge, sondern Facharbeiter oder noch höher qualifizierte Menschen. Vielfach treibt sie auch nicht die Aussicht auf deutsche Wohltaten her, sondern die Missachtung von Minderheitenrechten in ihrer Heimat. Vor allem die Roma suchen ein Leben frei von Ausgrenzung. Wer könnte dies nicht besser verstehen als geschichtsbewusste Deutsche.

Die Missstände sind nicht zu übersehen

Die EU-Kommission hat unlängst festgestellt, dass die Zuwanderung innerhalb der EU statistisch nicht mit der Großzügigkeit der Sozialsysteme in den einzelnen Ländern einhergeht. Dennoch deutet sich in einigen Städten ein Anstieg von Transferleistungen für Osteuropäer an, wenn auch auf niedrigem Niveau. Zudem lässt sich mancherorts nicht übersehen, dass Behörden mit Sozialleistungsbetrug kämpfen. Dass Zuwanderer von skrupellosen Mietwucherern ausgebeutet werden. Dass hier junge Rumäninnen oder Bulgarinnen von Zuhältern oder gar von Familienangehörigen zur Prostitution gezwungen werden. Wo all dies der Fall ist, dürfen die Kommunen nicht mit den Problemen allein gelassen werden. Städte wie Mannheim oder Freiburg müssen auf den Rückhalt der Landesregierung zählen können, um konsequent dagegen vorgehen zu können.

Was wenig hilft, ist der hilflose Ruf nach gesetzlichen Restriktionen, die einer Pauschalverurteilung aller Zuwanderungswilligen gleichkommen. Einem rumänischen oder bulgarischen Fußballer unterstellt doch auch niemand, dass er lediglich ein Wohlfahrtstourist sei – der Kicker wird stattdessen bejubelt. Die Idee des vereinigten Europa lebt von der Freiheit und Gleichheit der Menschen. Wer einzelne Gruppen ausnimmt, diskriminiert sie.

Die EU-Erweiterung – so zügig sie auch erfolgt – lässt sich durch die Hintertür nicht rückgängig machen. Es bedarf mehr Grips, über gute Lösungen zur Integration der Neubürger nachzudenken, als mit Hiobsbotschaften Stimmung gegen sie zu machen. Doch es sollte der Mühe wert sein.