Die Europäische Union hat die Privatanleger vergrault und so die Situation in der Eurokrise selbst verschärft, schreibt StZ-Autor Michael Heller.

Berlin - Kaum ein Tag vergeht mehr ohne neue Umdrehung der Krisenspirale in Europa. Und je mehr sich die Situation zuspitzt, desto ratloser werden die Staats- und Regierungschefs - abzulesen an der Flut unausgegorener Vorschläge, die in immer kürzeren Abständen in die Debatte geworfen werden. Polens Außenminister Radislaw Sikorski bereichert die Diskussion zwar nicht mit besseren Vorschlägen, hat aber wohl mit seinem Befund recht: "Die Eurozone steht am Scheideweg."

 

An den Gründen für die Krise hat sich in den vergangenen Wochen natürlich nichts geändert. Die Ursache liegt in der undisziplinierten Haushaltspolitik vieler Eurostaaten; außer Kontrolle geratene Finanzmärkte verschärfen das Problem. Aber auch die Politik leistet mit ihrem Krisenmanagement einen Beitrag. Offenbar ist in Vergessenheit geraten, dass es in dieser Krise nicht nur um die Defizite der Schuldner geht, sondern - spiegelbildlich - auch um die Forderungen der Gläubiger. Vor allem die Bundesregierung hat sich mit einer Politik hervorgetan, die jeden Geldgeber nur verschrecken kann. Fast im Alleingang hat sie die Privatgläubiger zum vorgeblich freiwilligen Forderungsverzicht gezwungen.

Wer den Ärger hat, muss auch noch Spott ertragen. Als bestenfalls naiv wird nun jeder Gläubiger hingestellt, der sich darauf verlassen hat, dass Griechenland zahlungsfähig ist und bleibt. Dabei waren es die staatlichen Regulatoren selbst, die die Banken einst in die Finanzierung von Ländern getrieben haben. Ganz offiziell musste der Erwerb solcher Anleihen wegen des angeblich fehlenden Ausfallrisikos mit keinem einzigen Euro Eigenkapital unterlegt werden. Niemand wird im Ernst glauben, dass Griechenland wie versprochen ein Einzelfall bleibt. Schließlich ist es grundsätzlich eine elegante Form des Schuldenabbaus, wenn einfach die Gläubiger ihre Forderungen abschreiben. Steuererhöhungen führen in der Heimat zu größerem Widerstand.

Das Ende des Euros?

Aber nun ziehen sich immer mehr Finanziers aus der Staatsfinanzierung zurück, weil sie ihr Geld nicht verlieren wollen. Wie zum Beispiel Frankreich und Italien ihre Kredite von jeweils mehr als 500 Milliarden Euro im nächsten Jahr zu erträglichen Konditionen verlängern wollen, ist schleierhaft. Aber die Politik hat geglaubt, es sich erlauben zu können, die Geldgeber zu brüskieren.

Im vorigen Jahr wurde den Banken zum Beispiel das Versprechen abgerungen, keine Griechenland-Anleihen zu verkaufen; die Quittung dafür war dann der "freiwillige" Verzicht auf zunächst 21 Prozent, später sogar 50 Prozent der Forderungen. Und als sei das Ganze eine vertrauensbildende Maßnahme gewesen, erwarten die Euroländer nun auch noch, dass der Privatsektor dem EFSF unter die Arme greift.

So ist absehbar, dass immer mehr Länder in eine Kreditklemme geraten werden. Und auch dies ist klar: Kein Rettungsschirm wird mehr groß genug sein, die Märkte zu beruhigen, wenn erst eines der großen EU-Länder ins Fadenkreuz geraten ist. Was dann? Die Diskussionen der vergangenen Tage geben die Antwort. Es wird nur eine Instanz geben, die die Finanzierung dann noch sicherstellen kann: die Europäische Zentralbank (EZB). Denn sie kann das Geld selbst drucken, das zum Kauf der Anleihen benötigt wird.

Die Rede ist von der Bazooka, der panzerbrechenden Waffe. Deutschland und die EZB leisten zu Recht Widerstand, denn die Zentralbank würde ihre Unabhängigkeit verlieren, und die Inflationsgefahr nähme dramatisch zu; unbegrenzte Staatsanleihekäufe sind mit den EZB-Verträgen nicht vereinbar. Nun hat die EU in der Krise schon mehrfach ihre eigenen Regeln verletzt. Das Verbot der gegenseitigen Haftung wird einfach ignoriert. Aber die Kaperung der EZB wäre der entscheidende Schritt zu viel. Die Eurozone steht am Rubikon. Wird diese Grenze überschritten, dann gibt es kein Zurück. In diesem Fall ist das Projekt Euro gescheitert.