An der Hungersnot in Afrika tragen viele Schuld. Deshalb ist mehr nötig als Nothilfe, meint StZ-Kommentator Johannes Dieterich.

Stuttgart - Da sind sie wieder. Die Bilder von wandelnden Skeletten, die sich durch Sandstürme quälen, verzweifelten Müttern, die ihre sterbenden Kinder am Wegrand liegen lassen. Solche Szenen hatte man in diesem Jahrhundert eigentlich nicht mehr erwartet: Hatten Technologen nicht das Ende altertümlicher Hungersnöte erklärt, und wurde nicht soeben - auch von der Afrikareisenden Angela Merkel - die Renaissance des Aschenputtel-Kontinents ausgerufen?

 

Vielleicht auch deshalb unterscheidet sich die Reaktion auf die erste Hungersnot der Welt seit einem Vierteljahrhundert: statt die Geldbörsen zu zücken, zeigt man lieber mit dem Finger. In einem Reigen an Bezichtigungen werden die Schuldigen für den "Skandal des Jahrhunderts" (der französische Landwirtschaftsminister Bruno Le Maire) etwa unter den Entwicklungshelfern ausgemacht, die es versäumt hätten, die betroffenen Staaten vor solchen Nahrungsmittel-Engpässen zu bewahren. Oder unter Afrikas Politikern, die lediglich an ihrer Selbstbereicherung interessiert seien. Oder in den somalischen Islamisten, die in ihrem Ansinnen, einen mittelalterlichen Gottesstaat zu schaffen, über Leichen gingen. Oder aber auch in der sogenannten internationalen Gemeinschaft, die wieder einmal viel zu spät auf die sich seit Langem anbahnende Katastrophe reagiert habe.

Kritik an der internationalen Gemeinschaft berechtigt

An all diesen Vorwürfen ist etwas dran. Entwicklungshelfer klagen selbst darüber, dass sie für Maßnahmen zur Katastrophenverhütung bei den Gebern kaum noch Gelder lockermachen könnten. Zweifellos zeichnen sich auch viele afrikanische Politiker nicht durch ihr Verantwortungsbewusstsein aus: Kenianische Volksvertreter sind berüchtigt dafür, dass sie aus dem Elend der Bevölkerung auch noch Reibach zu machen suchen. Verhängnisvoll wirkt sich auch das Pokerspiel der somalischen Islamisten um den Zugang der Hilfswerke zu den Dürreopfern aus. Und schließlich ist auch die Kritik an der internationalen Gemeinschaft berechtigt: Keine Krisenregion der Welt hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten weniger Aufmerksamkeit als das Horn von Afrika erfahren.

Das Verhalten des Westens gegenüber Somalia wurde von der Verletzung über angeblich nicht entgegengebrachte Dankbarkeit bestimmt. Nachdem die UN-Mission "Restore Hope", die neben Nahrungsmitteln auch Stabilität bringen sollte, Anfang der 90er Jahre gründlich gescheitert war, zog sich der Westen beleidigt zurück: Das Land wurde Kriegsfürsten, schadenfrohen Nachbarstaaten, feurigen Gottesmännern und gewissenlosen Piraten überlassen. Die somalische Bevölkerung machte durch, was in anderen Teilen der Welt kein Mensch für möglich halten würde: Der derzeitige Exodus der Skelette ist nur der Höhepunkt einer Tragödie von epischem Ausmaß. Im Westen war praktisch unbekannt, dass in Mogadischu schon vor der Hungersnot ein Häuserkampf wie einst in Stalingrad tobte: ein blinder Fleck im globalen Dorf.

Geldbeutel und Augen öffnen

Damit steht Somalia auch für ein grundsätzlicheres Phänomen. Obwohl die Globalisierung wirtschaftlich längst Tatsache ist, somalische Piraten dem Welthandel Schäden in Milliardenhöhe beibringen und somalische Gotteskämpfer den Weltfrieden mit Selbstmordattentaten zu zerstören drohen, pflegen die abgeschriebenen Paragrafen einer Doktorarbeit in Deutschland höhere Wellen zu schlagen als eine in den Abgrund stürzende Weltregion.

Der Rand mit Knödeln und Specksuppe gefüllter Teller scheint zuweilen so hoch zu sein, dass ganze Kontinente dahinter verschwinden können - das kann in Parteizentralen, in Medienhäusern oder am Stammtisch geschehen. Den Geldbeutel zu öffnen ist gewiss eine der Reaktionen, die angesichts der Hungersnot am Horn von Afrika nötig sind - die Augen zu öffnen und Initiativen zu ergreifen, um solche Katastrophen in Zukunft auszuschließen, eine andere.

Hier geht es zu Spendenaktion von StZ-Online und anderen Portalen.