Mitten in der Krise verfehlt Italien das Ziel handlungsfähiger Mehrheiten – und taumelt weiter. Dieser Montag war ein rabenschwarzer Tag für Italien und für die Stabilität Europas, findet StZ-Redakteur Paul Kreiner.

Rom - Das, was Italien in seiner Krise unbedingt gebraucht hätte und was Europa dringend von seiner drittgrößten Volkswirtschaft erhoffte, ist bei dieser Parlamentswahl klar verfehlt worden: eine stabile, handlungsfähige Regierungsmehrheit. Das Land hat sich verwählt. So taumelt es weiter – gebannt vom wahlkämpferischen Genie eines Silvio Berlusconi und eines kongenialen, genauso windigen Stimmenfängers wie Beppe Grillo. Das zählt offenbar in diesem Land: der Auftritt, die Fassade, die Fähigkeit, Leute zu verführen. Nicht hingegen die Inhalte, das Verantwortungsbewusstsein, die Programme. Beppe Grillo hat außer einer unausgegorenen Stichwortsammlung überhaupt keines. Und was hat Berlusconis „Volk der Freiheit“? Außer und hinter dem formidablen Chef selber? Nichts.

 

In einem normalen Land wäre ein Ergebnis all’italiana nicht besonders schlimm. CDU und SPD würden sich zu einer Großen Koalition zusammenraufen, wenn anders keine parlamentarischen Mehrheiten zu organisieren wären und Handlungsfähigkeit nötig wäre. Aber Italien ist kein normales Land. Es gibt mit einem Silvio Berlusconi keine Große Koalition – der Mann, übersättigt mit Testosteron gerade jetzt, kann und will sich nicht einordnen. Die persönlichen Interessen überwiegen immer noch die nationalen. Und eine Linke, die ihre Daseinsberechtigung, ohne weitere große Produktion von Inhalten, in den letzten 19 Jahren nahezu ausschließlich aus der Gegnerschaft zu Berlusconi bezogen hat, kann sich nicht von heute auf morgen in ein Bündnis mit diesem begeben, ohne zu zerbrechen. Eine Große Koalition gäbe es erst, wenn Berlusconi abträte, aber das ist heute weniger wahrscheinlich als je zuvor. Und wenn es keine Große Koalition gibt, dann gibt es auch keine Regierungsmehrheit. Was will Italien in dieser Lage machen – außer in ein paar Wochen noch mal neu zu wählen? Mit womöglich nur um Zehntelprozente veränderten Ergebnissen?

Die Fünf-Sterne-Bewegung katapultiert sich ins Parlament

Von den Problemen des Landes lenkt auch das vollauf begreifliche Starren auf ein Phänomen wie Beppe Grillo ab. Mit ihm ist keine Regierung zu organisieren; seine „Fünf-Sterne-Bewegung“ verweigert sich allen koalitionären Bindungen – wenn sie überhaupt weiß, was sie künftig wollen soll: Sie besteht aus lokal engagierten jungen Leuten vom Typ grüner Basisaktivisten oder internetvernarrter Piraten. Jetzt, aus dem Nichts, sehen sie sich von nahezu 25 Prozent der italienischen Wähler ins Parlament katapultiert. Die Parteien, die man die großen und die etablierten nennt, haben nicht viel besser abgeschnitten.

Die Protestbewegung der „Grillini“, das ist eine Erscheinungsform, das Fieber zu einer viel tiefer liegenden Krankheit: zur Entfremdung, zur Verständnislosigkeit der Italiener gegenüber der Politik oder letztlich zum Sinn von Demokratie. Diejenigen, die bisher herrschten, haben nichts dafür getan, ihr Volk in Sachen Demokratie zu schulen; im Gegenteil: sie selbst haben die demokratischen Standards korrumpiert, den politischen Betrieb zu einem Selbstbedienungsladen umgestaltet. Die Quittung kommt jetzt, und sie geht womöglich zu Lasten von ganz Europa.

Ein Patt bei den Parlamentswahlen – bis Herbst vorigen Jahres konnte man darin noch eine Chance für Italien sehen. Dann, so konnte man hoffen, würde Mario Monti wieder gerufen. Er selber hat sich das auch mal so vorgestellt. Dann aber ist er in den Wahlkampf eingestiegen wie alle anderen auch, er war im Hacken nach links und nach rechts keinen Deut besser als die Konkurrenz. Auf diese Weise hat sich Monti selber verbrannt. Heute ruft ihn keiner mehr. Und ein anderer, überparteilicher Regierungschef ist nicht in Sicht. Wie also weiter? Keiner weiß es. Dieser Montag war ein rabenschwarzer Tag für Italien und für die Stabilität Europas.