Der russische Präsident Putin wendet sich an seine Nation, bleibt aber bei den genauen Plänen für die Zukunft ungewiss. Dafür wird klar, was ihn antreibt: Putin fordert Anerkennung und Respekt, kommentiert der StZ-Redakteur Christian Gottschalk.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Moskau - Wladimir Putin ist ein mit allen Wassern gewaschener Politiker. Deswegen hat er bei seiner Rede an die Nation sehr viele Interpretationsmöglichkeiten offengelassen. Für das heimische Publikum gab es zunächst eine gehörige Portion Pathos, als Russlands Präsident über heilige Orte auf der Krim sprach, deren Anschluss eine lebenswichtige, historische Frage gewesen sei. Für das sogenannte Brudervolk der Ukrainer wurden die Botschaften schon vieldeutiger.

 

Die Beziehungen der beiden Länder waren, sind und werden die wichtigsten sein, versicherte Putin, niemand wolle die Spaltung der Ukraine. Das beruhigt die angespannten Nerven. Sehr viel weniger zur Beruhigung wird beitragen, dass Putin ebenso erklärt, auch künftig die Interessen der Russen im Nachbarland zu verteidigen – und zwar mit politischen, diplomatischen und rechtlichen Mitteln. Nach Lesart des Kremlchefs sind genau dies die Grundlagen dafür gewesen, dass die Krim russisch geworden ist. Mehr als einmal hat Putin in seinen Formulierungen die Krim und die Südostukraine in einem Satz zusammengepackt. Das lässt die Bedenken wachsen, dass Russland auch daran denkt, die Staatsgrenzen bei Donezk oder Odessa zu verschieben. Dem wiederum steht Putins Wort entgegen, dass die Ukraine Frieden und Freiheit selbst erreichen müsse.

Zuckerbrot und Peitsche für den Westen

Zuckerbrot und Peitsche gab es auch für den Westen. Den geißelte der russische Präsident für seine Widersprüchlichkeit, stets die Einhaltung von Völkerrecht einzufordern, es selbst aber zu brechen. Er schickte das Versprechen hinterher, nie die Konfrontation mit Partnern anzustreben, weder in Ost noch in West. Ein zentraler Satz, der viel über die Denkweise des russischen Präsidenten verrät, droht in dem Gewirr von Ankündigungen und Stellungnahmen fast unterzugehen. Kurz und knapp, ziemlich in der Mitte seiner 40-minütigen Rede, hat ihn Wladimir Putin gesagt: „Man muss Russland Respekt zollen.“

Es ist der Wunsch nach Anerkennung, der den Kremlchef treibt. Russland war einst ein Imperium, die Sowjetunion eine globale Großmacht. Heute steht Wladimir Putin nur noch einer rohstoffreichen Mittelmacht vor. Mindestens den Großmachtstatus will er wiedererlangen. Der Anschluss der Krim war da ein nicht von besonders langer Hand geplantes, aber dann doch höchst willkommenes Geschenk. Dem griechischen Historiker Thukydides werden die Worte nachgesagt, dass der Starke machen könne, was er wolle. Im Augenblick handelt Putin aus diesem Wissen heraus. In Russland kommt das an. Befragt, ob ihre Nation eine Großmacht sein soll oder ein Land mit hohem Lebensstandard, dafür aber weniger Einfluss, stimmten die meisten Russen für die machtvolle Alternative. Das ist nicht ungefährlich, denn Putin wird dadurch auch zu einem Gefangenen des eigenen Systems. Das schürt bei vielen Menschen in Westeuropa Ängste. Bei vielen aber führt das Image des starken Mannes auch zu einer Art von Bewunderung.

Fehler nicht mit Fehlern aufrechnen

Wer die Rolle der USA als Weltpolizist kritisiert, wer an Europas mühsamen Prozessen der Meinungsfindung leidet, der sieht ganz gerne in den Spiegel, den Putin immer wieder seinen Kritikern entgegenhält. Jedes Fehlverhalten des Westens findet dort seine Entsprechung. Da ist die völkerrechtlich hochumstrittene Schutzverantwortung für die Russen auf der Krim – Ähnliches hat der Westen in Libyen für sich reklamiert. Da sind klare Gesetzesbrüche mit Soldaten auf fremdem Hoheitsgebiet – wie war das im Irak? Da ist der Mehrheitswunsch der Krimbevölkerung – zu respektieren, wie der Wunsch der Kosovaren? Manchmal hinken die Vergleiche gewaltig, manchmal steckt Wahrheit in ihnen. Wer sie als Propaganda abtut, der stärkt nur die Stellung Putins innerhalb Russlands. Hilfreicher wäre das Argument, dass es nichts bringt, Fehler mit Fehlern aufzurechnen.