Noch ist unklar, wie die Zukunft der Ukraine aussehen wird. Ob ein Referendum befriedend wirken kann. Klar ist: so, wie das Land bisher existiert hat, wird es nicht bestehen bleiben, meint der StZ-Redakteur Christian Gottschalk.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Wie viel Glück Deutschland vor 25 Jahren gehabt hat wird dieser Tage klar, wenn der Blick auf die Ukraine fällt. Als die DDR von den Wogen der Geschichte davon gespült wurde, da hatte Deutschland Freunde, die letztlich bereit waren, konstruktiv bei der Gestaltung der Zukunft mit zu helfen – und die ehemaligen Feinde waren zu schwach, um den Lauf der Geschichte zu beeinflussen. Es hätte auch anders kommen können. Nun ist die Ukraine ein Land in Auflösung und die Ukrainer haben dieses Glück nicht. So, wie die Ukraine in den letzten 23 Jahren existiert hat, wird es den Staat in absehbarer Zeit nicht mehr geben. Und es sind große Zweifel daran erlaubt, dass es den Menschen in dem neuen Gebilde, dessen Aussehen und Grenzen noch unklar sind, besser gehen wird als heute.

 

Die Notregierung in Kiew hat in den vergangenen Tagen vieles richtig gemacht. Nach einem katastrophalen Start Ende Februar haben der Interimspremier Arseni Jazenjuk und Übergangspräsident Alexander Turtschinow zumindest ernsthaft versucht, die Situation nicht weiter eskalieren zu lassen. Sie hätten gegen die Randalierer im Osten schon sehr viel früher sehr viel härter durchgreifen können. Dass sie es nicht taten, ist nicht nur der Unsicherheit darüber geschuldet, in wieweit die eigenen Sicherheitskräfte noch auf das Kommando ihrer Befehlshaber hören. Sie handelten auch aus politischer Klugheit.

Keine Regierung hätte die Kraft, die Gräben zuzuschütten

Anders als auf der Krim sind die Menschen im Osten der Ukraine nicht in dem Ausmaß gewillt, den russischen Pass in Empfang zu nehmen. Ähnlich hoch wie auf der Halbinsel ist jedoch das Misstrauen gegenüber Kiew. Dass dort nun die Idee eines Referendums aufgegriffen wird kann zumindest kurzfristig eine weitere Eskalation verhindern. Mittelfristig bedeutet es das Ende der Ukraine in der Form, wie sie jetzt noch auf den Landkarten eingezeichnet ist. Das muss kein Schaden sein.

Die Gräben, die in dem Land seit November aufgerissen wurden, sind so tief, dass keine Regierung die Kraft dazu hätte, sie in absehbarer Zeit wieder zuzuschütten. Nun zu entflechten, was nicht zusammen gehört, ist daher ein gangbarer Weg. Die Ostukrainer in eine Entscheidung über ihre Zukunft einzubinden ist richtig, auch wenn klar sein muss, dass sie sich so weit von Kiew lösen werden, wie es ihnen nur möglich gemacht wird. Was genau ihnen ermöglicht werden wird, ob nur sie oder ob das ganze Land abstimmen soll, das wird der Konfliktstoff sein, der die nächsten Wochen beherrscht. Das Problem dabei: konstruktive Hilfe haben die Ukrainer in der Vergangenheit kaum erhalten und für die Zukunft ist sie auch nicht zu erwarten. Und das, was aus der direkten Nachbarschaft kommt, ist überwiegend destruktiv.

Ein klares Wort aus Moskau wäre nötig

Die meisten derer, die in diesen Tagen hoch bewaffnet durch den Osten der Ukraine ziehen und für Russland demonstrieren, sind nicht dort zu Hause, wo sie Barrikaden errichten. Es ist nicht sicher, ob sie auf Geheiß der russischen Regierung handeln, mit deren Unterstützung oder nur mit deren Duldung. Sicher ist, dass – wenn überhaupt – nur ein sehr klares Wort aus Moskau dazu führen kann, dass die so genannten Selbstverteidigungskräfte Ruhe geben.

Diese Ruhe wäre dringend nötig, wenn in nur fünf Wochen ein wenigstens halbwegs vernünftiger Vorschlag ausgearbeitet werden soll, wie es künftig weiter geht. Mit den Stichworten Autonomie und föderale Union allein ist noch nicht viel gewonnen. Die Bandbreite dessen, was darunter zu fassen ist, ist gewaltig.

Und ganz egal, wie am Ende Rumpfukraine, Föderale Union oder autonome Regionen zueinander stehen werden, die Menschen werden mit den Hinterlassenschaften der vergangenen zwei Jahrzehnte konfrontiert werden. Das wird ein Kampf, der den augenblicklichen Auseinandersetzungen in nichts nachsteht.