Die Franzosen haben große Erwartungen an den neuen Staatschef. François Hollande wird Mühe haben, seine Versprechen einzulösen. Ein Kommentar

Paris - Der Machtwechsel ist da. Die Franzosen haben den Sozialisten François Hollande am Sonntag zum Präsidenten gekürt. Erstmals seit 17 Jahren regiert in Frankreich wieder die Linke. Was Lionel Jospin 2002 verwehrt blieb, Ségolène Royal 2007 vergeblich versuchte, Hollande hat es geschafft. Er ist in die Fußstapfen François Mitterrands getreten, stellt den zweiten sozialistischen Staatschef der 1958 gegründeten Fünften Republik. Und wie einst Mitterrand hat auch Hollande immense Hoffnungen geweckt.

 

Der Sozialist hat die des sprunghaften Machtpolitikers Nicolas Sarkozy müden Franzosen ja nicht nur mit Geradlinigkeit, Aufrichtigkeit und sozialer Sensibilität überzeugt. Er hat seine Landsleute auch mit kühnen, ja tollkühnen Programmen für sich eingenommen. „Den Wandel jetzt“, hat er versprochen. Als hätte das Land viel Spielraum zur Veränderung, als wäre es nicht erschreckend schwach, als würden sich Rekordarbeitslosigkeit, Rekordschuldenberg und Rekordaußenhandelsdefizit, beeindruckt von der Kür eines neuen Präsidenten, in Luft auflösen.

Hollandes Möglichkeiten sind begrenzt

Sicherlich erfreut sich ein französischer Staatschef einer beeindruckenden Machtfülle. Er ernennt und entlässt die Regierung, legt die Grundzüge ihrer Politik fest, ordnet Volksabstimmungen an, gebietet über die Atomwaffen des Landes, repräsentiert Frankreich im Ausland. Aber auch diese Machtfülle dürfte nicht reichen. Wenn Hollande wahr macht, was er versprochen hat, wenn er 60 000 Stellen im Schuldienst schafft, die Polizei um 1000 Mann aufstockt, den Strompreis für Geringverdiener senkt und auf Einsparungen weitgehend verzichtet, wird er vermutlich schnell an Grenzen stoßen. Die Märkte würden es als unsolide Haushaltspolitik auslegen, mit steigenden Kreditzinsen quittieren, die den geringen finanziellen Spielraum des Landes noch mehr einengen würden. Das Versprechen, den EU-Fiskalpaket neu zu verhandeln und um Wachstumsprogramme zu ergänzen, dürfte nicht minder schwer einzulösen sein.

So unentbehrlich Frankreich ist, wenn die EU vorankommen soll: das Land ist nicht stark genug, um gegen andere Schwergewichte der Gemeinschaft seinen Willen durchzusetzen. Dass die deutsche Kanzlerin inzwischen einer europäischen Wachstumsagenda das Wort redet, heißt ja nicht, dass die Sparkommissarin eine 180-Grad-Wende gemacht hätte und die Konjunktur auf Pump anzukurbeln gedächte. Wenn Angela Merkel Wachstum sagt, meint sie vor allem Strukturreformen. Und selbst wenn der ja auch in Griechenland, Italien und Spanien ertönende Ruf nach europäischen Konjunkturspritzen Gehör fände, würde sich bald zeigen: Frankreichs Misere ist weniger EU- als hausgemacht.

Der erste Staatsbesuch führt nach Berlin

Der Staat ist an Grenzen gestoßen. Noch in diesem Jahr wird die Gesamtverschuldung des Landes die kritische Schwelle von 90 Prozent des Erwirtschafteten erreichen, jenseits derer der Schuldenberg das Wachstum deutlich schmälert. Ein geordneter Teilrückzug des Staates tut not. Zu wünschen ist dem neuen Präsidenten, dass er es besser macht als Mitterrand, der nach dem Wahlsieg die Märkte in Panik versetzte, Kursstürze an der Börse auslöste. Die Chancen, dass Hollande und Frankreich solches erspart bleibt, stehen nicht schlecht. Der Sozialist ist im Herzen Sozialdemokrat und bei aller Geradlinigkeit Pragmatiker. Dass Hollandes erster Staatsbesuch nach Berlin führt und der Präsident erwägt, den Deutschlandkenner Jean-Marc Ayrault zum Regierungschef zu machen, sind beruhigende Signale. Sie zeigen, dass der Sozialist den deutsch-französischen Beziehungen Priorität beimisst, dass Hollande wie seine Vorgänger davon ausgeht, dass sich Europa in einer globalisierten Welt allenfalls Gehör verschaffen kann, wenn Deutschland und Frankreich gemeinsame Sache machen.