Ein wichtiger Faktor für das Erscheinen immer neuer Listen ist das geänderte Wahlrecht. Bislang wurden die Räte nach dem d’Hondtschen Zählverfahren berechnet, was den großen Parteien mehr Sitze zukommen ließ. „Die neue Berechnung nach Sainte-Laguë/Schepers begünstigt die Kleinen“, erklärt Norbert Brugger, der beim Städtetag die kommunalen Parlamente im Blick hat. Auch winzige Splittergruppen kommen so zu einem Ratssitz. Auf Landesebene wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, die die Auswirkungen in den insgesamt 1101 baden-württembergischen Kommunen überprüfen soll. Gegebenenfalls soll das Wahlrecht vor dem nächsten Urnengang erneut modifiziert werden.

 

Es gibt einen zweiten wichtigen Faktor, der zu der Gründung der Listen führt: die Neigung zur Protestwahl auf lokaler Ebene. „Das ist kein neues Phänomen, sondern eher eines, das zurzeit wieder auftaucht", sagt Angelika Vetter. Die Stuttgarter Politikwissenschaftlerin beschäftigt sich mit lokaler Demokratie, sie schaut auf die langfristigen Entwicklungen und hat drei große Trends ausgemacht. „In den 50er Jahren hieß es: keine Parteien auf lokaler Ebene, die Bürger wissen selbst Bescheid“, sagt die Professorin. Dieses Denken bildete den Grundstein für die Stärke der Freien Wähler, die bis heute landesweit gut 40 Prozent aller kommunalen Mandate stellen.

In den 70er Jahren war eine Renaissance der Parteien in den Stadtparlamenten zu beobachten. „Die Konflikte wurden in den Parteien kanalisiert, Protestbewegungen spielten sich innerhalb der Ortsgruppen ab“, so Angelika Vetters Analyse. Seit Mitte der 90er Jahre hingegen tendieren Kritiker der herrschenden Verhältnisse dazu, eigene Listen aufzustellen und sich in die Gremien wählen zu lassen.

Ein großer Trend waren die Frauenlisten. So sitzen zum Beispiel in Renningen seit gut 20 Jahren die „Frauen für Renningen“, in der die spätere FDP-Abgeordnete und Landtagsvizepräsidentin Heiderose Berroth politisch sozialisiert wurde. In Herrenberg ist die Frauenliste in den 90ern unter anderem von dem SPD-Mitglied Elke Lang gegründet worden, seither ist die Liste im Gemeinderat eine feste Institution.