Am 25. Mai dürfen erstmals bei Kommunalwahlen in Baden-Württemberg auch Unter-18-Jährige mitbestimmen. Doch wie weckt man deren Motivation, wenn schon viele Erwachsene nicht zur Wahl gehen? Und welche Möglichkeiten gibt es, mit besonderen Veranstaltungen und Aktionen das Interesse an Politik zu wecken?

Erstmals dürfen 16- und 17-Jährige bei den Kommunalwahlen abstimmen. Wolfgang Berger von der Landeszentrale für politische Bildung erklärt, welche Herausforderungen das bringt.
Herr Berger, wie weckt man das Interesse an Politik bei Jugendlichen – wenn es schon bei vielen Erwachsenen nicht vorhanden ist?
Politikverdrossenheit hat oft damit zu tun, dass die Politik so weit weg ist von den Alltagserfahrungen der Menschen. Das ist aber im Kommunalen ganz anders. Hier können die Jugendlichen in ihrer Gemeinde tatsächlich etwas bewegen, schneller als auf Landes-, Bundes- oder Europaebene. Wenn man ein bisschen weiß, wie Jugendliche ticken und welche Vorstellungen und Wünsche sie haben, dann funktioniert es.
Und wie vermittelt man es, dass es diese Möglichkeiten für eine Beteiligung gibt?
Die Vermittlung muss an den Bedürfnissen der Jugendlichen ansetzen und dort, wo es geht, spielerisch sein, etwa mit Infografiken – aber nicht mit dicken Büchern. Auch Gymnasiasten greifen lieber zu anschaulichem Material. Und die Jugendlichen müssen erfahren, was sie vor Ort beeinflussen können. Es geht zum Beispiel um Jugendräume und den ÖPNV, aber auch um die Radwegeplanung. Die Themen liegen eigentlich auf der Hand. Es sind aber oft nicht die, die Erwachsene betreffen und interessieren.
Man kann sie auf kommunaler Ebene also leichter begeistern – warum ist die Wahlbeteiligung dann nicht höher als bei Älteren . . .
Ich glaube erstens, dass sich das mit der Absenkung des Wahlalters ändern wird, denn Jugendliche sind jetzt Wähler geworden. Zweitens muss in den Kommunen und in den Schulen mehr für die Jugendbeteiligung getan werden. Es kommen kaum einmal Jugendliche zu einer Gemeinderatssitzung. Ich kenne Beispiele, da sind Klassen zu Besuch gewesen und das Jugendthema kam ganz am Schluss dran. Es gibt aber auch positive Beispiele: Die Jugendgemeinderäte sind in meinen Augen ein möglicher und guter Weg, um Jugendliche an Politik heranzuführen. Der Jugendgemeinderat Gerlingen ist so ein Beispiel. Denn die Jugendlichen haben dort eine Stadtverwaltung, die mit ihnen umgehen kann und mit der sie umgehen können. Das ist wichtig, um für die Kommunalpolitik zu begeistern.
Es liegt also viel an den Verantwortlichen vor Ort . . .
Gerade in Gerlingen sind Georg Brenner und der Jugendamtsleiter Stefan Fritzsche immer wieder für junge Menschen da, der Bürgermeister packt auch mal Fraktionsvorsitzende in sein Auto und fährt mit ihnen samstags zu einer Tagung mit Jugendlichen. Wer die Meinungen von Jugendlichen ernst nimmt, der muss es genauso tun.
Kann auch die Schule das Interesse wecken?
Es ändert sich hoffentlich bald, dass Gemeinschaftskunde wieder ein eigenständiges Fach wird. Häufig werden zwar die Ukraine, Syrien und die EU thematisiert, aber die Kommunalpolitik so gut wie nicht – im Lehrplan sind dafür leider nur zwei Stunden vorgesehen.
Und haben Sie Tipps für die Parteien, was sie tun könnten, um Interesse zu wecken?
Sie müssten noch viel stärker die Sprache der Jugendlichen sprechen. Da reichen Luftballons, die an die Kleinen verteilt werden, nicht aus. Und in dem Zusammenhang könnten auch die Schulen ein deutlicheres Zeichen setzen und die Vertreter von Parteien in die Schulen einladen. Häufig geschieht dies nicht, weil sie das Gebot der Überparteilichkeit verletzt sehen. Es gibt da aber keine Karenzzeit, im Zweifel kann man kann ja Parteien einladen. Ich würde es den Schülern auch zumuten, dass mal mehr als nur zwei oder drei Vertreter von Parteien auftreten.
Mit welchen Veranstaltungen sprechen Sie die Jugendlichen an?
Wir haben bei unserer Kampagne von Beginn an Jugendliche einbezogen: Sie haben das Kampagnenlogo entworfen und wir haben viele als Teamer qualifiziert. Wir wollen mit unseren Angeboten weg von der klassischen Podiumsdiskussion. Stattdessen wollen wir, dass die Jugendlichen Politiker in Kleingruppen löchern können. Und man muss sie auch bei der Planung dieser Veranstaltungen mit ins Boot holen. Das ist zwar ein großer Aufwand, aber anders gar nicht machbar. Etwa mit einem Speed-Dating. Das ist ein Verfahren, das bei Jugendlichen besonders gut ankommt. Wir müssen uns ja nicht immer an die 45-Minuten-Didaktik der Schulen halten.
Welche Materialien bieten Sie an?
Wir haben Kinospots entwerfen lassen und jugendgerechte Infomaterialien produziert. Wir haben Postkarten als Erinnerung in Umlauf gebracht. Die sind so gut angekommen, dass die Zehn Plus-Kommunen schon gesagt haben, sie schicken sie an alle Erstwähler. Zudem machen wir Infostände und laden mit dem Spiel Glücksrad dazu ein, das Wissen zu testen. Das macht den Leuten einen Heidenspaß. Speziell in Gerlingen werden in die Busse und die Stadtbahn SwingCards gehängt, mit der Aufforderung Geh wählen! Diese Karten haben wir produzieren lassen, aufgehängt werden sie kostenlos. Wir stoßen bei den Verkehrsbetrieben sehr häufig auf großes Interesse.
Viel Material also – aber glauben Sie, dass wirklich mehr Jugendliche zur Wahl gehen?
Ja, zumindest in den Städten, in denen wir uns engagieren. Wir wollen mit Zehn Plus aber auch zeigen: Liebe Parteien, engagiert euch etwas mehr für Jugendliche!

Leiter
Wolfgang Berger leitet die Heidelberger Außenstelle der Landeszentrale für politische Bildung. Zudem verantwortet er Zehn Plus.

 

Projekt
Ziel von Zehn Plus ist es, in Gerlingen, Hockenheim und Walldorf zehn Prozent mehr junge Wähler an die Urnen zu bringen als im Landesdurchschnitt. Die Orte, die je ein Gymnasium haben, wurden wegen ihrer Größe gewählt und weil es aktive Jugendgruppen gibt.