Der Architekt Alexander Schwarz, Design Director und Partner im Berliner Büro von Chipperfield Architects, ist überzeugt, dass Städte für das moderne Identitätsgefühl wichtig sind.

Stuttgart - Der Weg zur Architektur führt normalerweise nicht über den Geigenbau. Alexander Schwarz, Design Director und Partner im Berliner Büro von Chipperfield Architects, verkörpert aber schon rein äußerlich nicht den Normalfall seiner Profession. Schwarzes Brillengestell und schwarzes Jackett, die Uniform des Berufsstands, lässt er ebenso vermissen wie Stoppelhaare und Dreitagebart. Schwarz trägt – soll man scherzen: seinem Namen zum Trotz? – wahlweise dunkelbraunen Samt (im Winter) oder helles Leinen (im Sommer), und die früh ergraute Wallermähne reicht ihm, zum Zopf zusammengebunden, bis hinab zu den Schulterblättern. Manchmal lässt er sich dazu einen Bart im Musketierstil wachsen – optisch eine Mischung aus Mozart und d’Artgnan, der Mann. Und er ist gelernter Geigenbauer.

 
Der Architekt Alexander Schwarz ist gelernter Geigenbauer. Foto: StZ

Dass der gebürtige Ludwigsburger, Jahrgang 1967, nach der abgeschlossenen Handwerkslehre auf die Architektur umsattelte, hatte seinen Grund zum einen in der „ganzheitlicheren“ Wesensart der Architektur – „man hat mehr mit Menschen zu tun als beim Geigenbau“ –, zum andern in der Einsicht, „dass die Geige um 1750 ihren Höhepunkt hatte“. Besser als ein Stradivari oder ein Guarneri kann man es einfach nicht mehr machen. In der Architektur hält Alexander Schwarz es dagegen für möglich, „dass noch weitere Höhepunkte kommen“.

Handwerkliches Architekturverständnis

Zu einigen dieser Höhepunkte der letzten Jahre hat er selbst beigetragen: Schwarz war und ist bei Chipperfield Architects für gefeierte Entwürfe wie das Literaturmuseum der Moderne in Marbach am Neckar – sein erstes Gebäude überhaupt –, das Folkwang Museum in Essen, das mit Architekturpreisen geradezu überschüttete Neue Museum in Berlin und das gegenüberliegende Galerienhaus am Kupfergraben verantwortlich. Gegenwärtig plant er das auf den Namen James-Simon-Galerie getaufte zentrale Eingangsbauwerk auf der Berliner Museumsinsel, das 2017 eröffnet werden soll.

Vielleicht liegt es an der Geigenbauerherkunft, bestimmt aber an seinem handwerklichen Architekturverständnis, dass sich Alexander Schwarz’ Schlussvortrag am zweiten StZ-Kongresstag einem Aspekt widmet, der scheinbar quer zu den dominierenden Themen Mobilität, Flexibilität, Digitalisierung und Vernetzung der „Stadt der Zukunft“ steht. Um es mit einem literarischen Zitat auszudrücken: der Architekt spricht über „die Entdeckung der Langsamkeit“ oder – in seiner eigenen Formulierung – über „die unzeitgemäße Langsamkeit des Physischen als urbane Qualität“.

Stadt, meint Schwarz, sei ihrem Wesen nach die Antithese zur modernen Kommunikation, die sich mit ihrer Ortlosigkeit und Geschwindigkeit von der Physis vollständig gelöst hat: nämlich extrem physisch, schwer und langsam. Immer noch, möchte man hinzufügen, trotz beschleunigter Herstellungs- und Bauprozesse. Stadtentwicklung und -wachstum passiert weiterhin nicht von heute auf morgen, sondern in langen Zeiträumen, Häuser überdauern oft die Generation, die sie erbaut hat. Sind Städte deshalb ein Anachronismus?

Schwarz übernimmt Lehrstuhl von Arno Lederer

Der Architekt ist vom Gegenteil überzeugt. Er glaubt, dass gerade unsere schnelllebige, virtuelle Welt eine „Sehnsucht nach Permanenz“, nach Beständigkeit, erzeuge, die Städte eben aufgrund ihrer „unzeitgemäßen Langsamkeit“ zu Zukunftsmodellen und die Architektur zu einer kommenden Disziplin mache.

Diesen Optimismus will Alexander Schwarz demnächst auch dem Architektennachwuchs vermitteln. Im Wintersemester 2015/16 übernimmt er als Nachfolger von Arno Lederer den Lehrstuhl für öffentliche Bauten und Entwerfen an der Universität Stuttgart. Und obwohl er weiterhin Partner im Berliner Büro von Chipperfield Architects bleiben wird, um auch als Lehrer den Praxisbezug nicht zu verlieren, räumt er ein, dass es für ihn eine emotionale (Teil-)Rückkehr in heimatliche Gefilde sei, denn in Stuttgart hat er (neben Zürich) früher selbst studiert: zuerst an der Hochschule, dann an der Kunstakademie, wo der Brite David Chipperfield seinerzeit als Gastprofessor lehrte.

„Schwarz ist purer Chipperfield-Mann“, schrieb die „Berliner Zeitung“ vor ein paar Jahren zur Eröffnung des Neuen Museums. Jetzt wird der einstige Schüler und heutige Büropartner aus dem Schatten des prominenten Meisters gewiss hervortreten. Gestört hat es ihn jedoch nie, dass der Starglanz stets auf den Chef fiel. Ihm gefällt nach wie vor die „gedankliche Präzision“, mit der bei Chipperfield entworfen wird. Und zugleich die „englische Relativiertheit“, die sich nicht auf einen Stil festlegt.