Das Landespolizeipräsidium hat nach dem „schwarzen Donnerstag“ die Dienstvorschriften für Wasserwerfereinsätze ergänzt. Damit reagierte man auf die Fehler, die am 30. September 2010 gegen Gegner des Projekts gemacht worden waren.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Vier Seiten Papier hat das Landespolizeipräsidium im Jahr 2012 der Polizeidienstvorschrift 122 beigefügt. Das fand geräuschlos hinter den Kulissen des Innenministeriums statt, obwohl es sich um ein damals wie heute in der breiten Öffentlichkeit kontrovers diskutiertes Thema handelt. Denn die Polizeidienstvorschrift (PDV) 122 regelt den Einsatz von Wasserwerfern. Sie wird als Verschlusssache gehandhabt, ist also nur Polizeibeamten im Dienstgebrauch zugänglich – das ist auch die Begründung der Behörde, warum es nie eine öffentliche Mitteilung dazu gab. Der nur für Baden-Württemberg geltende Zusatz ist eine direkte Reaktion der obersten Polizeiführung im Land auf die Probleme und Fehler beim völlig aus dem Ruder gelaufenen Einsatz gegen Stuttgart-21-Gegner am 30. September 2010 im Schlossgarten, dem „schwarzen Donnerstag“.

 

In den Ergänzungen ist vorgeschrieben, wie der Rettungsdienst bei künftigen Wasserwerfereinsätzen einzubinden ist. Vor vier Jahren ist dabei einiges schiefgelaufen. Erst vor wenigen Wochen berichtete ein Vertreter des Deutschen Roten Kreuzes im zurzeit am Landgericht laufenden Prozess gegen zwei wegen des Einsatzes angeklagte Polizeibeamte, dass die Rettungskräfte im Vorfeld gar nicht über das Vorgehen der Polizei informiert gewesen waren. Darüber hinaus geht die Ergänzung der Dienstvorschrift auch auf Kommunikationsprobleme ein, die zu den zentralen Fragen im aktuellen Wasserwerferprozess zählen. Im Zentrum der Erörterungen steht dort, wer in der Polizeiführung den Einsatz hätte stoppen können, als Demonstranten verletzt wurden – einige von ihnen sogar schwer.

Bessere Abstimmung zwischen den Führungsebenen

Die Ergänzung der PDV 122 regelt, dass sowohl die Mannschaften in den Wasserwerfern als auch die Polizeiführung regelmäßig darüber zu informieren sind, ob es Verletzte gibt, und auch darüber, was den Personen widerfahren ist. Den erwähnten Angeklagten wird vorgeworfen, dass sie nicht einschritten, als S-21-Gegner verletzt wurden. Zu ihrer Verteidigung sagen die beiden Beamten, die als Einsatzabschnittsleiter an jenem „schwarzen Donnerstag“ Dienst taten, sie hätten aufgrund der chaotischen Verhältnisse im Schlossgarten von den schweren Augenverletzungen eines Demonstranten nichts mitbekommen. Den neuen in Baden-Württemberg geltenden Ergänzungsseiten der PDV ist vorangestellt, dass beim Wasserwerfereinsatz auf die Verhältnismäßigkeit zu achten und die körperliche Unversehrtheit aller Beteiligten sicherzustellen ist. Zum Thema Rettungsdienst ist in der grundlegenden Dienstvorschrift angeordnet, die medizinische Versorgung sicherzustellen. Das ist eine viel weiter gefasste Formulierung als die nun von der Polizeiführung formulierten Zusätze.

„Wir haben aus dem Wasserwerfereinsatz von Stuttgart 21 die notwendigen Konsequenzen gezogen und erstellen für jeden geplanten Einsatz unter Mitführung von Wasserwerfern vorsorglich ein begleitendes Sanitäts- und Rettungskonzept. Eine öffentliche Darstellung haben wir nicht vorgenommen, da die Inhalte im Detail nur für unseren Dienstgebrauch bestimmt sind“, bestätigt der Inspekteur der Polizei, Detlef Werner, auf Nachfrage der Stuttgarter Zeitung. Der neue Landesteil sei als reine Ergänzung zu der bundesweit geltenden PDV 122 zu handhaben, erläutert Andreas Schanz, Sprecher des Innenministeriums.

Gewerkschaft und Juristen begrüßen die Ergänzung

„Es ist zu begrüßen, dass es die Ergänzung gibt“, sagt der Rechtsanwalt Frank-Ulrich Mann. Er vertritt im Wasserwerferprozess den Nebenkläger Dietrich Wagner, der bei dem Einsatz sein Augenlicht beinahe vollständig verlor. Mann schränkt sein Lob im Hinblick auf die Reaktion des Landespolizeipräsidiums aber ein: „Das, was da festgeschrieben wurde, ist eigentlich auf Grundlage der allgemeinen Polizeivorschriften selbstverständlich.“

In der Polizei Baden-Württembergs ist die Ergänzung zur Vorschrift nur jenen bekannt, die unmittelbar mit Wasserwerfern zu tun haben. Intern wird sie begrüßt, auch wenn sich die Beamten eine weiter gehende Diskussion wünschen, sagt Hans-Jürgen Kirstein, der stellvertretende Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP). „Ich denke schon, dass es gut gewesen wäre, die Ergänzung publik zu machen“, sagt er über den Zusatz zur PDV 122. „Aber wahrscheinlich wäre das mit Blick auf das Verfahren am Landgericht als eine Art Schuldeingeständnis gewertet worden“, fügt Kirstein hinzu. Die Einheit in Biberach, bei der Kirstein bis zum Inkrafttreten der Polizeireform auch als Vorgesetzter arbeitete, habe frühzeitig Bescheid gewusst, als die Fehler des 30. September 2010 im Landespolizeipräsidium aufgearbeitet wurden. „Es ist erfreulich, dass dann schließlich auch das geschehen ist, was man erwartet: nämlich dass bei einer Nachbereitung etwas Sinnvolles herauskommt“, fügt der Gewerkschafter hinzu.

Er hoffe jedoch, dass der aus dem Ruder gelaufene Einsatz aufgrund der vielen schweren Verletzungen auch auf Bundesebene noch aufgearbeitet wird, wo die Innenministerkonferenz der Länder (IMK) über bundesweit geltende Polizeidienstverordnungen zu beraten hat. „In der IMK wurde – bisher noch nicht offiziell, aber im Hintergrund – die Frage aufgeworfen, ob der Wasserwerfer als Einsatzmittel des unmittelbaren Zwangs anders eingestuft wird als bisher“, sagt Kirstein. Wasserwerfer gelten zumindest mit der leichtesten Stufe ihres Einsatzes, wenn lediglich Wasser auf die Demonstranten als Regen fällt, als milderes Mittel als Schlagstöcke. Spätestens wenn mit der Anschaffung neuer Wasserwerfer die PDV 122 überarbeitet werden muss, solle das besprochen werden. Wann die neuen Fahrzeuge kommen, steht aber laut einer Sprecherin des Bundesinnenministeriums noch nicht fest.