Konstantin Wecker hat sich am Donnerstag mit herausragenden musikalischen Begleitern im Stuttgarter Hegelsaal ganz entspannt präsentiert. Verausgabt hat er sich dabei trotzdem.

Stuttgart - Das gibt es ja öfters: Künstler, die man lieb gewonnen hat, und in deren Konzerte man gerne geht, obwohl man nichts mehr erwartet, als den leidlich engagierten Abklatsch ihrer besten Zeiten. Hinterher denkt man sich dann, dass es schön war, wenn auch vielleicht nicht ganz so schön wie früher, aber das ist nicht schlimm, weil man ja weiß, dass jedem Anfang ein Ende innewohnt.

 

Und dann gibt es Konstantin Wecker.

Konstantin Wecker war in den siebziger Jahren schon ein Star, jawohl, und in den Achtzigern war er ein gewaltiges Ereignis. Jetzt ist er 65 und zieht im Stuttgarter Hegelsaal nach dem ersten, aufrüttelnden Lied namens „Wut und Zärtlichkeit“ das Sakko aus, streift die Hemdsärmel hoch. Man kennt das Ritual: Es wartet Arbeit am Flügel der Marke Bösendorfer. Denn „Wut und Zärtlichkeit“ (so heißt Weckers aktuelles Album) ist das eine. Aber Konstantin Wecker hat immer auch bedeutet: Wut und Wucht, ein R, das rollt wie ein loderndes Perpetuum Mobile, ein Klavier, das schier birst vor reingeklopfter Kraft.

Der Sturzbach der Inbrunst

Seit ein paar Jahren ist er imstande, den Sturzbach seiner Inbrunst klug zu regulieren. Aber so überzeugend wie jetzt im Hegelsaal hat sich der neue Konstantin Wecker kaum je präsentiert. Er macht mehr Kabarett als früher, ohne dass er seine listigen Beiträge zur Lage der Nation dergestalt titulieren müsste: „Seit Monaten sind wir unterwegs, um das Ansehen unserer Kanzlerin zu steigern“, sagt er, und singt dann sein neues Couplet im Geiste Georg Kreislers, das sein Sichverzehren nach ihrem Lächeln zum Inhalt hat. Der gereifte Schauspieler Wecker ist sehr versiert, das Debile nachzuäffen. Der gereifte Musiker Wecker lässt seinen sensationellen Drummer Jens Fischer (der auch toll Gitarre und Bass spielt) zu seinem Spottlied abgedrehte Harmonien schnattern.

Das ist überhaupt das Verblüffendste dieses Abends: wie facettenreich Wecker musiziert und musizieren lässt. Mit welcher Hingabe und Genauigkeit er seinen Liedern neue, berauschende Klangkleider schneidert, die endlich wieder mit der berührenden Wirkungsmacht seiner Texte mitzuhalten vermögen.

Organisch pulsierende Dringlichkeit

Dabei helfen ihm außer Jens Fischer, der den Spannungsbogen ganzer Opern mit zwei Trommelstöcken nachzeichnen kann, der Pedal-Steel-Gitarren-Spieler Nils Tuxen, der Weckers Liedern eine schier unwirklich schöne Zartheit beimengt und außerdem Blues-Harmonika und E-Gitarre beherrscht, sowie Jo Barnikel, der Hexer am Keyboard und am Akkordeon.

Die fulminanten Wechselspiele, welche die drei famosen Multiinstrumentalisten gemeinsam mit Wecker aufführen, die schwelgerischen Schlendereien, die in Jazz-Improvisationen münden, die organisch pulsierende Dringlichkeit, mit der sie beispielsweise Weckers hinreißend mutigen Aufruf „Empört Euch“ illustrieren – all das ist große Kunst und offensichtlich zugleich größte Lust für die aktiv Beteiligten.

Widerstand gegen das Wegschauen

Konstantin Wecker selbst präsentiert sich in dieser unaufgeregten Virtuosität entspannt wie lange nicht mehr. In seine immer noch außergewöhnlich druckvolle Stimme mögen sich an diesem Abend Heiserkeiten schleichen – seine Haltung jedoch wird von dieser ungeahnt fesselnden Musik in ganz neue Sphären katapultiert. Ob Wecker nun – radikaler noch als früher – die herrschenden Verhältnisse kritisiert oder ob er das Leben und die Liebe selbst mit seinem berserkerhaften Einfühlungsvermögen liebkost: letztlich läuft es auf dasselbe hinaus: Widerstand gegen das Wegschauen, Marketing für das Mitgefühl. „Die Menschenwürde steht unter Finanzierungsvorbehalt“, klagt ein besonders wacher Wecker im Hegelsaal – und verausgabt sich drei Stunden lang dafür, dass sie unantastbar bleiben darf.

Wenn er sehr emotional wird, kippt er gern ins Italienische. Wenn er mit Schönheit überzeugen will, vertont er Kästner und Brecht. Der ultimative Rebell im Schaumbad des Lebens aber heißt Konstantin Wecker. Welch ein Erlebnis.