Die Diakonie der evangelischen Brüdergemeinde will sich mit einem eigenen Fonds an eine Stiftung koppeln, um den misshandelten ehemaligen Heimkindern rasch zu helfen. Die Betroffenen bereiten derweil eine Vereinsgründung vor.

Korntal-Münchingen - Glaubt man den Teilnehmern, ist das zweite Treffen der Steuerungsgruppe konstruktiv gewesen. „Die Brüdergemeinde muss auf uns zugehen. Aber auch ich muss auf die Brüdergemeinde zugehen“, sagt etwa das ehemalige Heimkind Detlev Zander. Und die Vermittlerin Mechthild Wolff ist davon überzeugt, dass „ein vertrauensvoller Dialog langsam möglich wird“. Die Steuerungsgruppe koordiniert die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle und Misshandlungen seit den 1950er-Jahren in Korntaler Kinderheimen.

 

Um den Opfern aus dieser Zeit zu helfen, will die Diakonie der pietistischen Brüdergemeinde einen Fonds an eine neutrale, bereits bestehende Stiftung ankoppeln. Die Brüdergemeinde hat nach ihren Angaben zuvor geprüft, unter welchen rechtlichen und finanziellen Bedingungen sie den Betroffenen helfen könnte, ohne die Gemeinnützigkeit ihres Werks aufs Spiel zu setzen. „Damit sind wir einen großen Schritt weiter“, sagt Mechthild Wolff, die Sprecherin der Steuerungsgruppe.

Den Namen der Stiftung will Klaus Andersen, der Weltliche Vorsteher der Brüdergemeinde, mit Verweis auf die laufenden Gespräche zum jetzigen Zeitpunkt nicht nennen. Über die Stiftung sollen die Betroffenen aber individuelle und freiwillige Hilfen erhalten. Offen ist, ob dies Sach- oder auch Geldleistungen sein können, wie von den Betroffenen gefordert.

Zander hält an der Forderung einer Wahlfreiheit für die Opfer fest. Er addierte diese für alle bekannten Fälle einmal auf zwölf Millionen Euro. Er erklärt aber auch, die Brüdergemeinde durch die Forderungen nicht ihrer Existenzgrundlage berauben zu wollen: „Es liegt mir fern, dass die Brüdergemeinde wie die Odenwaldschule kaputt geht.“ Jene Schule wird nach dem Bekanntwerden von Missbrauchsfällen zum Jahresende geschlossen.

Eine Kommission soll unter Einbeziehung von Opfervertretern über die Vergaben entscheiden. „Das Antrags- und Prüfverfahren und den Zugang zu Hilfe dürfen wir nicht hochschwellig gestalten, damit die Betroffenen nicht zu Bittstellern werden“ fordert Wolff. Sie geht aber davon aus, dafür eine Lösung zu finden.

Anders als im Fall der Stiftung ist der Name des Vereins bereits bekannt, in den die bisherige Interessengemeinschaft Heimopfer übergehen wird. Laut Zander soll der gemeinnützige Verein „Netzwerk der Heimopfer Korntal“ seinen Sitz im bayerischen Deggendorf haben. Er würde zwar den Vorsitz übernehmen können, überlegt Zander. Aber die Nähe zu seinem Wohnort Plattling habe primär andere Gründe. Erstens sei dies nahe Landshut, wo Mechthild Wolff an einer Hochschule lehrt. Zudem solle der Verein keine räumliche Nähe zu Korntal haben, „um dort bewusst Ruhe reinzubringen“, sagt der Mann, der den Missbrauchsskandal voriges Jahr öffentlich gemacht hat. Laut Zander haben sich inzwischen 250 Betroffene gemeldet. Künftig soll nicht mehr er, sondern der Verein erster Ansprechpartner sein.

Laut Wolff sicherte die Diakonie der Brüdergemeinde beim Treffen auch zu, ergänzend zur Übernahme der Kosten der drei Betroffenenvertreter in der Steuerungsgruppe auch eine Kostenübernahme für den künftigen Verein zu prüfen. Zander zufolge benötigt dieser etwa ein Büro. „Das ist ein weiteres Zugeständnis der Korntaler. Man muss das absolut würdigen, dass sie es ernst meinen mit dem Aufarbeitungsprozess“, sagt Wolff. Das Gesamtkonzept der Aufarbeitung soll zudem gemeinsam auf dem Kirchentag vorgestellt werden.

Kommentar – Zum Dialog bereit

„Wir sind einen großen Schritt weiter“, sagt Mechthild Wolff nach einem zweiten Treffen der Steuerungsgruppe. Sie koordiniert die Aufarbeitung der Fälle von Missbrauch und Misshandlung in Korntaler Kinderheimen. Die Wissenschaftlerin vermittelt zwischen den Betroffenen und der Brüdergemeinde, in deren Einrichtungen das Ungeheuerliche geschah. Wissenschaftler sind ja meist in ihrer Wortwahl nüchtern. Doch Wolff untertreibt bei ihrer Bilanzierung.

Zur Erinnerung: Nach dem letzten Treffen vor acht Wochen hatte der Betroffene Detlev Zander den Heimbetreibern mangelnde Transparenz vorgeworfen und die Unabhängigkeit Wolffs bezweifelt, weil deren Kosten von den Pietisten getragen werden. Die Brüdergemeinde ihrerseits gab wenig preis von dem, wie sie ihren Worten Taten folgen lassen will. Ihr Vorsteher Klaus Andersen hatte sich zwar früh und gegen Widerstände in eigenen Reihen öffentlich dem unrühmlichen Kapitel der Heimgeschichte gestellt. Aber auch er gewährte keinen Einblick, inwiefern sich der Träger der Aufarbeitung stellen würde. Massives Misstrauen prägte die Kommunikation der Beteiligten. Jetzt, zwei Monate später, schlagen die Akteure völlig andere Töne an. Von gegenseitiger Wertschätzung und Vertrauen ist die Rede. „Aufarbeitung ist Dialog“, sagt Wolff. Seit Januar wirbt sie dafür unermüdlich bei allen Beteiligten. Erstmals hat es den Anschein, als ob diese das auch verstanden haben, danach handeln – und mit der eigentlichen Aufarbeitung beginnen können.