In Österreich versucht ein Untersuchungsausschuss, die ganze Politik zu durchleuchten - oft am Rande des Scheiterns.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Wien - Mit dem Smartphone am Ohr läuft Peter Pilz seit zehn Minuten immer im Viereck auf und ab in seinem Büro in der Wiener Löwelstraße, drei Meter hoch, zwei zur Seite, wieder drei retour und quer: ein paar Stadionrunden hat er schon zusammen. Dauernd will jemand was von ihm wissen. Im Rücken vom Schreibtisch steht ein Aquarium, und immer wenn Pilz vorbeikommt, schauen die Goldfische hoch, seltsam sediert im Blick – sie kennen ihn halt gut. Der Grünen-Abgeordnete Pilz ist der Marathonmann der österreichischen Bundespolitik. Wenn er nicht gerade redet, Interviews gibt oder Fragen im Untersuchungsausschuss stellt, schreibt er ein blitzgescheites Buch, hackt ein paar Ster Holz oder hängt an irgendeiner zackigen Bergspitze. „Nur schlafen müsste ich einfach ein wenig mehr“, sagt er.

 

Pilz kommt im Augenblick in Österreich eine ganz besondere Rolle zu, denn er gibt mit Wucht und Wonne so etwas wie den Ankläger im sogenannten U-Ausschuss, der seit Mitte Januar zwei- bis dreimal die Woche im Budgetsaal des Wiener Parlaments tagt. Wobei es den Ankläger im eigentlichen Sinne nicht gibt, jedenfalls nicht als Ersatz für eine Staatsanwaltschaft. Es ist vielmehr so, dass die österreichische Politik mittels einer Art Querbeetselbstbefragung zu allen möglichen Korruptionsfällen der, grob abgesteckt, letzten fünfzehn bis zwanzig Jahre eine Bestandsaufnahme versucht.

Pilz ist fast sechzig, aber fit wie sonst was, und das fällt besonders auf, wenn er unter seinesgleichen zu stehen kommt, also inmitten von österreichischen Politikern mit tendenziell teigiger Physiognomie. Pilz wirkt dann wie ein Ausrufungszeichen, auch wenn er ausnahmsweise einmal nichts gesagt hat: drahtig, angriffslustig, lachbereit, nie verbissen. Und schon gar nicht verbiestert.

Wobei er schon ganz gerne richtig angreift mit Sätzen: „Ich versuche“, sagt er dann zum Beispiel und formt mit den Armen gleichzeitig eine Art Dreieck über dem Kopf, als sei gerade auch fernöstlich inspirierte Gymnastikstunde, „jetzt mal den Ausdruck ,Schweinepartei‘ zu vermeiden, aber die FPÖ hat in der Regierung außer Fressen nichts im Kopf gehabt.“ Pilz setzt eine dramaturgische Pause nach „Fressen“ mit Bedacht. Er ist auch ein guter Schauspieler. Sein Pendant mag „und saufen“ ergänzen. So hat er es gemeint.

Korruption gab es früher schon, aberr nicht so dreist

Im Untersuchungsausschuss geht es um absurd viele Themen, unter anderem (und nur zum Beispiel) um ungefähr eine Million Euro, die das Bündnis Zukunft Österreich, Jörg Haiders Zweitparteigründung, von der Telekom als Wahlkampfhilfe bekommen hat und um sehr, sehr viele Abgeordnete, die in irgendeiner Form „Zuwendungen“ erhalten haben. Oft von Firmen, die einmal in staatlicher Hand waren und dann veräußert wurden, ein Verfahren, das vom schwarz-blauen Bündnis zwischen ÖVP und FPÖ unter dem Bundeskanzler Wolfgang Schüssel vom Jahr 2000 an jahrelang perfektioniert wurde. Zuwendung klingt nach Wellness, hat dem Land aber keinesfalls gutgetan. Pilz sagt, mit diesen Machenschaften habe der endgültige „Ausverkauf der österreichischen Politik und den Resten ihrer Glaubwürdigkeit“ eingesetzt. Natürlich: mit öffentlichen Geldern wurde schon zu Zeiten des Sozialisten Bruno Kreisky versucht, Meinungsbildung zu lenken, wie der ehemalige Marxist und promovierte Volkswirtschaftler Peter Pilz einräumt. Aber nicht flächendeckend. Und nicht so dreist und dumm. Kreisky hat er immer verehrt. Aber der hätte eben auch keinen Finanzminister wie Karl-Heinz Grasser beschäftigt – „bestenfalls zum Gebrauchtwarenverkauf geeignet“, wie Pilz sagt. Grasser verscherbelte 600 000 Bundeswohnungen und bedachte viele Spezln. Es gilt aber schon noch die Unschuldsvermutung.

Diese Wohnungsaffäre und ihre Folgen haben Österreich erschüttert. Ein solches Maß an Mauschelei war neu und eigentlich unfassbar. Die klassischen Parteien – alle außer den Grünen waren beteiligt – sind im U-Ausschuss verschämt um Schadenbegrenzung bemüht. Das geht so weit, dass der ÖVP-Fraktionschef Werner Amon selbst einen Mann schont, den die eigene Partei hinausgeworfen hat. Ernst Strasser, ehemals schwer gehypte Hoffnung der Schwarzen, war als EU-Abgeordneter der „Sunday Times“ in der Rolle des unverschämten Lobbyisten aufgefallen – und wurde entlarvt. Vor dem Ausschuss soll er jetzt unter anderem erklären, was ihm einmal für gut 40 Stunden Arbeit einen Lohn von 400 000 Euro eingebracht hat. Bezahlt hatte das Investmentunternehmen Vienna Capital Partners. Strasser schweigt dazu. Pilz vermutet, es habe sich um Scheinrechnungen gehandelt. Als später der Bankvorstand von Vienna Capital Partners aussagt, kommt es zu einem schönen Versprecher, der im Protokoll steht: „Für uns“, steht da, „war Herr Strasser sehr intensiv, äh, sehr tätig.“

Die Schweinereien sollen sich herumsprechen

Pilz gibt solche Highlights gerne weiter, in seinen sogenannten „Stehungen“ vor dem Sitzungssaal. Dort teilt er mit, wie sich die Dinge gerade entwickeln – hochkompliziert, wie sonst? Pilz’ Stehungen sind bitter nötig, denn der Ausschuss hat es mit einer solchen Flut an geheimem Geldfluss, direkter und vor allem indirekter Einflussnahme und schlichtweg Intrigen zu tun, dass sogar die direkt Beteiligten manchmal fast den Überblick verlieren. Pilz ist aber dennoch zuversichtlich, dass einerseits „die Richtigen ihre Strafe kriegen“, aber auch, dass sich das „alles bis zur Straße durchspricht“. Falschaussage vor dem Ausschuss immerhin kann bis zu drei Jahre Gefängnis kosten.

Dennoch ist der U-Ausschuss manchmal vor allem barockes Unterwelttheater. Es donnert und blitzt, aber richtig hell wird es nicht. Pilz hofft am Ende auf ein striktes Antikorruptionsgesetz und darüber hinaus darauf, dass in Österreich die windelweiche Große Koalition aus ÖVP und SPÖ abgelöst werden kann. Politisch steht das Land still, seit der Bundeskanzler Werner Faymann – „der sich an den Boulevard verkauft hat“ (Pilz) – die Geschäfte führt. Pilz ist fest überzeugt davon, dass der U-Ausschuss zumindest dazu beiträgt, dass die „Gerechtigkeitslücke“ sichtbar wird. Andere Beobachter sehen den Überdruss im Volk noch wachsen. Der Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer veröffentlichte dieser Tage wieder seinen „Vertrauensindex“. In diesem Rahmen wäre die Null ein akzeptabler Wert. Die Große Koalition liegt aber bei Minus 37 und die Opposition bei Minus 22. Wolfgang Bachmayer wünscht sich einen „Befreiungsschlag“ seitens der Großen Koalition. Diese Aufforderung scheint auch der ÖVP-Parteichef Michael Spindelegger verstanden zu haben. Er lässt jetzt einen Verhaltenskodex erarbeiten, den jeder ÖVP-Politiker unterschreiben muss. Spindelegger droht notfalls mit Parteiausschlussverfahren, möchte aber ausdrücklich „keine ÖVP-Gefängnisse eröffnen“. Gleichzeitig kokettiert er für 2013 mit einem neuen Bündnis ÖVP-FPÖ. Vertrauen in Spindelegger? Ausgeschlossen.