Ihre ersten Tests hat die Allgemeine Relativitätstheorie vor 100 Jahren triumphal bestanden. Aber andere Folgerungen beschäftigen die Physik bis heute. Wir geben einen Überblick über die größten kosmologischen Fragen – Einsteins Erbe.

Stuttgart - Vor hundert Jahren war Albert Einstein unter Physikerkollegen bereits ein bekannter Mann. Dennoch muss es für ihn ein großer Tag gewesen sein, als er am 25. November 1915 vor der Preußischen Akademie der Wissenschaften erstmals seine Allgemeine Relativitätstheorie (ART) vortrug. Der ganz große Triumph folgte aber erst nach Ende des Weltkriegs. Denn durch astronomische Messungen stellte sich heraus, dass Einsteins Theorie nicht nur mathematisch elegant und überzeugend war, sondern dass sie auch Vorhersagen machen konnte, die auf anderem Wege bis dahin nicht möglich gewesen waren. Solche Vorhersagen sind die Nagelprobe für physikalische Theorien: Kann man im Experiment etwas beobachten, das bis dahin nicht beobachtet worden ist, das aus der neuen Theorie aber folgt?

 

Die ART hat damals die Probe bestanden. Es war bekannt, dass sich die Umlaufbahn des Merkur um die Sonne dreht, merkbar daran, dass der sonnennächste Punkt sich mit der Zeit verschiebt. Bei Einstein ergab sich das aus seiner Behauptung, dass die Schwerkraft der Sonne den Raum krümmt; der vorhergesagte Wert stimmte präzise mit den Messungen überein. Unbekannt war bis dahin, dass Licht im Schwerefeld der Sonne von der geraden Bahn abgelenkt wird; ein Stern kann Licht eines anderen Sterns wie eine Linse fokussieren. Auch das konnten die Briten Arthur Stanley Eddington und Frank Watson Dyson 1919 bestätigen. Astronomen ist es nach langjährigen Mühen gelungen, solche Gravitationslinsen im All zu finden. Sie können daraus unter anderem die Masse solcher Schwerkraftzentren bestimmen.

Die ART ist in vielen Messungen und Experimenten bestätigt worden. Um so hartnäckiger kämpfen die Physiker mit einigen Aussagen, die sich aus Einsteins Theorie ableiten, aber nicht befriedigend erklären lassen. Wie wichtig die ART bis heute ist, sieht man schon daran, dass die Rätsel, die sie aufgibt, zu den zentralen Rätseln gehören, mit denen die Physiker heute kämpfen. Hier die wichtigsten Beispiele:

1. Dunkle Energie

Am Anfang des 20. Jahrhunderts gingen die meisten Physiker davon aus, dass das Weltall statisch sei und weder Anfang noch Ende habe. Einstein wollte ein solches Universum aus seinen Formeln ableiten. Das gelang ihm aber erst, als er eine willkürliche Zahl in seine Formeln einfügt, die sogenannte kosmologische Konstante. Er selbst war nicht glücklich über den Trick. Doch er hielt an ihm fest, bis der Brite Edwin Hubble 1929 seine Beobachtung veröffentlichte, dass das Weltall sich tatsächlich ausdehnt.

Je weiter ein Himmelskörper von uns entfernt ist, desto schneller bewegt er sich von uns fort. Das ließ sich aus Verschiebungen im Lichtspektrum der Sterne ableiten. Einsteins Konstante wurde überflüssig; er soll sie als seine „größte Eselei“ bezeichnet haben. Doch seit den 1990er-Jahren ist das nicht mehr so sicher. Neuere Berechnungen ergaben nämlich, dass sich das Universum beschleunigt ausdehnt. Die rätselhafte Beschleunigungsenergie nennt man Dunkle Energie. Und sie entspricht einer kosmologischen Konstanten in Einsteins Feldgleichungen. Woher sie kommt, ist bis heute allerdings unklar.

2. Schwarze Löcher

Sie sind der Albtraum jedes theoretischen Physikers: Singularitäten. Eine Singularität ist die Stelle, an der eine mathematische Formel den Wert unendlich liefert. Nimmt man aber an, dass das Universum vor knapp 14 Milliarden Jahren im Urknall entstanden ist und sich seitdem ausdehnt, dann war zum Zeitpunkt des Urknalls die Materiedichte unendlich groß. Und dann enden dort alle mathematischen Berechnungen. Ähnliches geschieht, wenn massereiche Sterne am Ende ihrer Leuchtkraft ankommen und kollabieren. Es entsteht ein Schwerkraftfeld, das alles verschluckt, was es aufsaugen kann, und nicht einmal Licht entkommen lässt – ein Schwarzes Loch. Auch das ist, mathematisch gesprochen, eine Singularität. Gefunden hat sie theoretisch der deutsche Astronom Karl Schwarzschild aus den Formeln der Einsteinschen Allgemeinen Relativitätstheorie. Manche Effekte, die mit solchen Himmelskörpern verbunden sind, konnten inzwischen nachgewiesen werden, etwa heftige Materie-ströme, sogenannte Jets, die aus Schwarzen Löchern hervorgehen können.

3. Gravitationswellen

Wenn Himmelskörper den Raum krümmen, müssen bewegte Himmelskörper eigentlich wellenförmige Raumkrümmungen ausssenden können – Gravitationswellen. Indirekt konnte man sie schon nachweisen, da sie aus Doppelsternsystemen Energie wegtransportieren. Ein direkter Nachweis gelang bis heute nicht, da die Wellen sehr schwach sein müssten.

4. Quantengravitation

Sowohl der Urknall wie auch die Schwarzen Löcher fallen nicht nur in den Zuständigkeitsbereich der Allgemeinen Relativitätstheorie, sondern sie sind mitgeprägt von den Regeln, die in der Welt der Elementarteilchen gelten. Dort aber gilt die Quantentheorie, und die kennt keinen gekrümmten Raum und keine sonstigen relativistischen Effekte. Einstein selbst versuchte Jahrzehnte lang, seine Theorie der Gravitation, die ART, mit der Elektrodynamik, der Theorie der elektrischen und magnetischen Effekte, zu vereinheitlichen. Vergeblich. Und genau so vergeblich versuchen heute andere Physiker, eine Brücke zu bauen zwischen ihrer Theorie der Quantenwelt und den Regeln, die nach Einstein den Kosmos beschreiben. Es wäre eine Theorie, in der sich die beobachteten Phänomene in den Weiten des Weltalls genau so erklären ließen, wie die Kräfte, die Atome und Elementarteilchen zusammenhalten.

Der bekannteste Versuch ist wohl die Stringtheorie, in der die Welt nicht aus drei Dimensionen des Raums und einer Zeitdimension besteht, sondern ein komplexes Gebilde aus zehn oder elf Dimensionen ist, von denen wir Menschen nur die meisten nicht wahrnehmen können. Die verschiedenen Varianten der Stringtheorie fordern, dass zu jedem der bekannten Teilchen aus dem Teilchenzoo noch ein Partner existieren sollte. Diese „supersymmetrischen“ Teilchen hoffen die Wissenschaftler im Forschungszentrum Cern mit ihrem Beschleuniger LHC in den nächsten Jahren nachweisen zu können – oder zumindest Hinweise darauf zu finden. Doch alle Versuche der Vereinigung von Gravitation und Quantenphysik finden auch ihre Kritiker.

An Albert Einsteins großem Altersprojekt und dem seiner Nachfolger, der Vereinigung bisher unvereinbarer, auf ihrem je eigenen Feld erfolgreicher Theorien zu einer Art Weltformel, beißen sich die Theoretiker die Zähne aus. Und ob ein derart komplexes Problem noch mal ein einzelner Einstein lösen könnte, ist durchaus offen.