Fernsehen ist sein neues Kino: ZDFneo zeigt Steven Soderberghs Krankenhausserie „The Knick“. Sie erzählt von Ärzten um das Jahr 1900.

Stuttgart - Eines ist sicher, und von den Machern auch so gewollt: Wer diese Serie angeschaut hat, wird sich, speziell was die medizinische Versorgung angeht, nicht ins New York um das Jahr 1900 zurückwünschen. „Wenn Du die ersten sieben Minuten aushältst, dann hast Du es geschafft. Du bekommst ein Gefühl dafür, wie sich der Rest entwickeln wird. Wenn Du damit ein Problem hast, solltest Du nicht weitermachen“, sagte der Produzent und Regisseur Steven Soderbergh einem Reporter, als „The Knick“ 2014 in Amerika anlief.

 

Man muss ihm Recht geben, oder einfach immer mal wieder die Augen ganz fest zukneifen. Denn in den Anfangssequenzen kommen bei einem grauenhaft blutigen, minutiös abgefilmten missglückten Kaiserschnitt Mutter und Kind zu Tode, und anschließend schießt sich der verantwortliche Chefarzt in den Kopf. Die viel gelobte Cinemax-Produktion, die jetzt bei ZDF Neo die Free-TV-Premiere feiert, ist zwar eine Krankenhausserie, aber weder optisch noch inhaltlich mit „Grey’s Anatomy“ oder gar „In aller Freundschaft“ verwandt. Soderbergh, bekannt durch Kinofilme wie „Erin Brokovich“ oder „Ocean´s Eleven“, hat sich eher einem aufklärerischen Realismus mit wenig beschönigenden Bildern verschrieben. Sein „Knick“, wie das Knickerbocker Hospital in Lower Manhattan abgekürzt wird, in dem die Geschichte spielt, ist eine Versuchsanstalt, in der, vor der Entdeckung des Penicillins und der Entwicklung moderner Operationsmethoden, mit allen erdenklichen Mitteln um medizinischen Fortschritt gekämpft wird.

47 Jahre dauerte ein durchschnittliches Menschenleben in den USA um die vorletzte Jahrhundertwende, und Dr. John Thackery, Nachfolger und Freund des unglücklichen Entbindungshelfers Dr. Christiansen, will alles dafür tun, um diese Spanne zu verlängern. Da werden um jeden Preis Därme gekürzt und Aneurysmen entnommen, Männer zusammengeflickt, die beim Hochhausbau abgestürzt sind, und Frauen im Endstadium der Tuberkulose behandelt. Das Handwerk des Arztes, wie es hier dargestellt ist, ähnelt öfter mal dem des Metzgers, gearbeitet wird – damals eine ganz große, neue Sache – gerne unter Kokainbetäubung. Der Krankenwagenfahrer Tom Cleary (Chris Sullivan) entpuppt sich als geschäftstüchtiger Beutelschneider, der Unfallopfer beim Meistbietenden abliefern. Und die christliche Schwester Harriet (Cara Seymour) führt nebenbei illegale Abtreibungen bei verzweifelten, bitterarmen Frauen durch.

Für und gegen den Fortschritt

Tolle Schauspieler sind sie alle zusammen, vor allem Clive Owen, der die Hauptrolle des John Thackery übernommen hat, und gleichzeitig Executive Producer der Serie ist, ähnlich wie Kevin Spacey bei „House of Cards“. Er legt seine Figur als ebenso charismatischen wie gebrochenen Charakter an, oszillierend zwischen extremem Narzissmus und Humanität. Während der drogenabhängige Arzt im OP glänzt, ist er im Privatleben hauptsächlich in Opiumhöhlen zu finden. Und während er für den medizinischen Fortschritt um jeden Preis kämpft, stellt er sich dem gesellschaftlichen Fortschritt vehement entgegen. Als die Krankenhausmäzenin Cornelia Robertson (Juliet Rylance) ihm den renommierten schwarzen Arzt Algernon Edwards (Andre Holland) an die Seite stellt, weigert er sich zunächst, den hochgebildeten Mann als Kollegen anzuerkennen.

All das wird, unterlegt mit Cliff Martinez’ faszinierend modernem elektronischen Soundtrack, in ruhigen, kühlen Einstellungen erzählt. Manches Dekor könnte aus einer romantischen Edith-Wharton-Verfilmung stammen, aber bei „The Knick“ geht es härter zu. Rassentrennung, ein alltäglicher Sexismus und scharfe Klassenkonflikte dräuen im Hintergrund dieser wissenschaftskritisch angelegten Reihe, von der die zweite Staffel schon bestellt wurde, noch bevor die erste überhaupt angelaufen war. Wahrscheinlich wollte man dadurch unter anderem den renommierten Regisseur Soderbergh bei der Stange halten, der 2013 verbal das Fernsehen geadelt hat, als er öffentlichkeitswirksam seinen Abschied aus Hollywood erklärte.

Er fühle sich dort durch die Vorgaben der Studios eingeengt, und empfinde die Industrie als zunehmend eskapistisch, erklärte der 52-Jährige, der mit der Künstlerstudie „Liberace“ zum Fernsehen wechselte. Und außerdem finde er, TV-Sender böten viel Freiheit bei der Entwicklung von Ideen und hätten „sich längst einen Großteil der kulturellen Landschaft gesichert, die einst dem Film gehörte“. Fernsehen ist also sein neues Kino, und „The Knick“ das erste Feld, auf dem er serielles Erzählen ausprobiert. Dass ZDF Neo sich die Rechte daran gesichert hat, wäre ein noch größerer Glücksfall für die deutschen Zuschauer, sendete man von Mainz aus Qualität nicht immer zu nachtschlafender Zeit.