Die Krankenkassen bekommen Hunderttausende neue Mitglieder; die meisten werden zunächst nicht selber Beiträge bezahlen können. Das wird nun zum Politikum.

Berlin - Wo harte Fakten fehlen, schießen Spekulationen ins Kraut. So war es auch am Mittwoch, als in Berlin eine Debatte über die Frage entflammte, ob die 50 Millionen Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen wegen der Versorgung von Flüchtlingen höhere Zusatzbeiträge zahlen müssen. Dieses Szenario ist – trotz aller Unwägbarkeiten – eher unwahrscheinlich.

 

die ersten 15 Monate bezahlen die Kommunen

Klar ist, dass 2016 und 2017 viele Flüchtlinge ins Hartz IV-System kommen und damit bei den Kassen krankenversichert sind. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) schätzt, dass dies 2016 bei 240 000 bis 460 000 Zuwanderern der Fall sein wird. Für jeden Hartz IV-Bezieher – ganz gleich, ob „urdeutsch“ oder geflüchtet – zahlt der Bund 90 Euro im Monat an die Krankenversicherung. Wie viel die Kassen für die Versorgung von Flüchtlingen aufwenden müssen, weiß niemand genau. Fest steht nur, dass sie Migranten meist jung und somit in der Regel gesund sind. Die Krankheiten, die sie sich bei der Flucht zuzogen – seien es Wunden oder Infekte durch den geschwächten Zustand – sind behandelt, bevor sie ins Hartz IV-System kommen. Denn in den ersten 15 Monaten nach der Ankunft sind sie nicht in diesem System, sondern bekommen medizinische Leistungen von den Kommunen bezahlt.

Dass die Ausgaben der Kassen steigen, liegt gleichwohl auf der Hand. Wenn 240 000 bis 460 000 neue Versicherte hinzukommen, ergeben sich unausweichlich mehr Ausgaben. Die Frage ist nur, wie sie finanziert werden. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat angekündigt, den Steuerzuschuss an die Krankenversicherung 2017 um 500 Millionen Euro auf 14,5 Milliarden Euro zu erhöhen. Und diese Ankündigung wiederholte eine Sprecherin des Finanzministeriums am Mittwoch ausdrücklich. Schäubles Plus ändert nichts daran, dass 2017 bei vielen Kassen der Zusatzbeitrag – das ist der Extra-Obolus, den allein die Versicherten zahlen – von derzeit im Schnitt 1,1 Prozent der Einkommen auf voraussichtlich 1,3 Prozent steigt.

Höherer Steuerzuschuss ist schon versprochen

Diese Erhöhung hatte sich aber schon abgezeichnet, als von der Flüchtlingskrise noch nicht die Rede war. Sie geht darauf zurück, dass die große Koalition für die verschiedensten Zwecke – sei es die Förderung der Palliativversorgung oder die Kliniken – sehr viel mehr Geld bereit stellt. Politisch heikel würde es für Berlin, wenn der Zusatzbeitrag allein wegen der Flüchtlingsversorgung weiter stiege – wenn diese Versorgung also etwa eine Milliarde Euro kostete, was einem Zusatzbeitrag von 0,1 Prozentpunkten entspräche. Weil dieses Szenario im Wahljahr 2017 ein gefundenes Fressen für die AfD wäre, wird Schwarz-Rot es wohl verhindern. Dafür könnte Schäuble den Zuschuss um mehr als 500 Millionen Euro erhöhen. Oder Berlin greift in die Rücklage der Krankenversicherung. Sie beträgt knapp zehn Milliarden Euro.