Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)
Wie soll sich die Erklärung verbreiten?
Ich hoffe, dass möglichst viele Flüchtlinge und Migranten, die hierher gekommen sind und hier ein gutes Leben führen können, ihre moralische Verantwortung zum Ausdruck bringen. Alle, nicht nur die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten, sondern auch die, die etwa aus Spanien oder Griechenland nach Deutschland gekommen sind und denen es hier gut geht. Sie müssten eigentlich auch dankbar sein. Aber im Unterschied zu den meisten Flüchtlingen kommen sie aus Ländern mit einer ähnlichen Verfassung. Die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten kommen jedoch aus Ländern, in denen Krieg ist und die oft von Diktatoren regiert werden.
Wie haben Sie selbst sich gefühlt, als Sie im Mai 2014 nach Deutschland in eine Erstaufnahmeeinrichtung gekommen sind?
Ich dachte, es ist toll, wenn man in ein Land kommt, dort akzeptiert wird und einem geholfen wird. Wenn man ein Bett, etwas zu essen und ein bisschen Geld bekommt. Ich wusste erst nicht, dass das alles ehrenamtliche Helfer sind, die einen unterstützen – bei den Sprachkursen etwa. Aber nach ein, zwei Wochen war mir das klar, und ich fand das toll. In Ludwigsburg habe ich so viel Unterstützung erlebt – Sprachkurse, rechtliche Hilfe und Freizeitaktivitäten. Mein Eindruck war immer positiv. Eine so große Unterstützung hätte ich nie erwartet. Das, was ich in den 18 Monaten, die ich nun hier bin, an Hilfe erfahren habe, habe ich in dieser Form noch nie zuvor in meinem Leben erlebt.
Was schätzen Sie besonders an Deutschland?
Viel. Die Toleranz, die moralische Verantwortung der Menschen für die anderen und ihre Hilfsbereitschaft. Dass die Deutschen die anderen respektieren und höflich sind, das ist toll. Die Solidarität, die hier herrscht, ebenso. Außerdem schätze ich die Freiheit hier, dass man keine Angst zu haben braucht und immer sicher ist, auch wenn man nachts unterwegs ist. In Bulgarien, der Türkei oder Syrien hat man immer Angst. Zudem ist die Natur in Deutschland sehr schön, überall ist es grün. Ich liebe das.
Wahrscheinlich wissen die meisten Flüchtlinge, wenn sie kein Deutsch können, gar nicht, worüber in Deutschland gerade diskutiert wird. Wie sollen Sie von dieser Erklärung erfahren?
Ich finde die Idee gut, die Verfassung ins Arabische zu übersetzen und zu verteilen. Der Refugee-Guide mit den Verhaltensregeln für Deutschland ist sehr gut. Aber auch die Flüchtlinge müssen jetzt ein Signal geben. Man muss der Angst der Deutschen mit Verstand, Toleranz und Akzeptanz begegnen. Ich hoffe, dass die Menschen, die in Asylfreundeskreisen aktiv sind, die Erklärung ausdrucken und ganz vielen Flüchtlingen zum Lesen geben. Ich werde die Erklärung noch ins Arabische und Kurdische übersetzen. Und dann sollen sie Unterschriften sammeln. Dann kann man damit vielleicht auch rechtsextremen Strömungen entgegenwirken.
Und wenn 500 000 Unterschriften zusammengekommen sind, fahren Sie zu Thomas De Maizière, um sie ihm zu überreichen?
Ich habe die Erklärung an den Bundestag als die höchste Vertretung in der Bundesrepublik adressiert. Sie soll keine parteipolitische Angelegenheit sein. Die Erklärung richtet sich an die Volksvertreter und damit an ganz Deutschland.