Ein Open-Air Poetry-Slam zeigt, wie schön es auf dem Ludwigsburger Akademiehof auch freitagabends sein kann – ohne Gelage und Müllberge. Der Gewinner kommt aus Berlin.

Ludwigsburg - Ick gehe durch die Straßen. Ohne ein bestimmtes Ziel, ick gehe einfach nur so vor mich und denke an nichts best. . . ZACK! . . . Löwe.“

 

Die Menschen, die eben noch gelassen auf ihren Decken im Ludwigsburger Akademiehof saßen, zucken zusammen.

„Dat Vieh sieht mich erwartungsvoll an. Ick interessiere mich aber nicht für es. Wenn ick mir Raubtiere ansehen will . . . Dann seh ick mir Raubtiere an.“

Gelächter breitet sich aus, von der Bühne über den Rasen, die mitgebrachten Decken, bis über die Stufen am Rand des Hofes. Mit breitem Berliner Akzent trägt der junge Mann mit den blonden Haaren auf der Bühne seinen Text vor. Trocken, lässig, mit Wortwitz. Felix Lobrecht erzählt von Begegnungen mit Raubkatzen („Völlig unnötiger Auftritt.“), von Studentenpartys („Neulich war ick auf einer Humanbiologenparty. Nirgendwo auf der Welt gibt es so viel Dioptrien auf einem Haufen.“) und von seiner Jugend in Neukölln („Wenn ick an meiner alten Schule lehren würde, würd’ ick auch Korn ohne Flakes frühstücken.“).

Pro Text haben die Teilnehmer sechs Minuten Zeit

Sechs Minuten haben Lobrecht und die anderen Teilnehmer beim Open-Air-Poetry-Slam am Freitagabend auf dem Akademiehof Zeit, ihre Texte vorzutragen – und damit auch sechs Minuten, um das Publikum auf ihre Seite zu ziehen. Ob mit Witz, Spannung oder dadurch, dass zum Nachdenken angeregt wird. Lobrecht entscheidet sich für die humorvolle Variante und kommt damit sehr gut an. Per Applaus stimmt das Publikum ab, welcher Teilnehmer am Ende gewinnt. Nach Lobrechts Geschichten, die der Berliner aus einer schwarzen Kladde vorträgt, klatschen die meisten Hände.

Unklar ist, ob der Gewinner sich auch über seinen Preis gefreut hat: den stiften nämlich die Zuschauer. Drei Jutebeutel („Uh, Jutebeutel sind doch schon total out.“) werden von den Moderatoren auf die Reise durchs Publikum geschickt, auf dass die Zuschauer sie füllen mit dem, was sie zufällig dabeihaben. So viel sei allerdings verraten: neben den obligatorischen Kondomen werden offensichtlich auch Kinderwindeln, Pflaumen oder Bilderbücher bei Poetry-Slams mitgeführt.

Die Regeln beim Open-Air-Slam im Akademiehof waren vergleichbar mit jenen bei vielen anderen Dichterwettstreits, die seit Jahren abends auf den Bühnen in ganz Deutschland stattfinden – und sich nach wie vor steigender Beliebtheit erfreuen. Und doch herrschte am Freitag eine besondere Atmosphäre. Als die Sonne langsam über den Backsteingebäuden der Filmakademie unterging und den Hof in ein gedimmtes, rotes Licht tauchte, erinnerte nicht viel daran, was sonst freitagabends an selbiger Stelle regelmäßig passiert: Saufgelage mit lauter Musik.

Decken und Texte statt Wodka aus Plastikbechern

Wo sonst der Hof als Toilette und Mülleimer missbraucht wird, wollten die Technischen Dienste der Stadt Ludwigsburg und die Abfallverwertungsgesellschaft (AVL) mit dem Poetry-Slam ein Zeichen setzen – und einen Schlusspunkt unter die Aktionswoche „Vielen Dunk“, mit der in Ludwigsburg für mehr Sauberkeit und Umweltbewusstsein geworben wurde. Der Hof, so der Moderator, der sich Hanz nennt, werde nach jedem Wochenende von den fleißigen Wichteln der Stadtreinigung wieder sauber gemacht. Daher sei es umso schöner, dass an diesem Freitag „die, die den Hof sonst so zurichten, mal draußen bleiben müssen“. Statt Wodka und Jägermeister aus Plastikbechern gab es also Decken und Texte von der Bühne. Neben Felix Lobrecht, der in diesem Jahr den Nachwuchspreis des Berliner Quatsch-Comedy-Clubs gewann, hatten die Veranstalter weitere erfolgreiche Poeten eingeladen.

Alex Burkhard, der aktuelle München-Meister zum Beispiel; Jason Bartsch, Meister in seinem Heimatbundesland NRW, oder Jule Weber aus Darmstadt. Entsprechend hoch war das Niveau, die Themen der Texte mitten aus dem Mittzwanziger-Leben: aktuelle US-amerikanische Fernsehserien, Reminiszenzen an erste Handys („Oh du mein Nokia 3210“) und natürlich die Suche nach dem oder der Richtigen. Die Mischung kam an beim Publikum auf dem mit geschätzt 400 Leuten gut gefüllten Akademiehof.

Stimmungsvolle Veranstaltung auf dem Akademiehof

Normalerweise finden die Ludwigsburger Poetry-Slams nicht unter freiem Himmel, sondern unter dem Dach des Central-Kinos statt. Die Macher Alexander Willrich und Hanz laden normalerweise jeden ersten Samstag der geraden Monate zum Dichter-Wettstreit, mit dem Slam auf dem Akademiehof verabschiedet sich der „Slam Lubu“ jetzt in die Sommerpause, weiter geht es erst im Oktober. Eine Befürchtung der Moderatoren war unbegründet: ohne Dach über dem Kopf bestehe die Gefahr, dass sich die ganze gute Stimmung, die das Publikum erzeugt, verflüchtige. Am Freitagabend war davon jedenfalls nichts zu spüren.