Jens Stoltenberg warnt vor einem Sieg Russlands in diesem Krieg. Überlagert werden seine Mahnungen vom Streit über seine Nachfolge.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Jens Stoltenberg tut das, was er seit über zwei Jahren macht. Auch bei der Vorstellung seines Jahresberichts für 2023 fordert der Nato-Generalsekretär am Donnerstag in Brüssel die Verbündeten auf, mehr Munition und Waffen an die Ukraine zu liefern. „Den Ukrainern fehlt es nicht an Mut, es fehlt ihnen an Munition“, betonte Stoltenberg. Die Mitgliedstaaten dürften keine weitere Zeit verlieren. „Wir haben die Kapazitäten und die wirtschaftlichen Möglichkeiten“, bohrte der Norweger in Brüssel nach. „Was fehlt, ist der politische Wille.“ Das war eine ungewöhnlich deutliche Botschaft an die USA, wo neue Ukraine-Hilfen von den Republikanern im Kongress blockiert werden. Stoltenberg sagte, es wäre ein „historischer Fehler“, den russischen Präsidenten Wladimir Putin den Angriffskrieg gegen die Ukraine gewinnen zu lassen.

 

Mehr Geld für die Verteidigung

Auch beim Thema Verteidigungsausgaben fand Stoltenberg mahnende Worte. „Die Verbündeten müssen mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die Verteidigung ausgeben, wenn sie bestehende Defizite beheben und Anforderungen einer umkämpften Sicherheitsordnung gerecht werden wollen“, heißt es in dem Jahresbericht. Nach Stoltenbergs Angaben erfüllen inzwischen zwei Drittel der 32 Verbündeten diese beschlossene Nato-Quote. Sein Heimatland Norwegen habe dies gerade erst angekündigt, fügte der Generalsekretär hinzu.

Zum ersten Mal seit vielen Jahren wird wohl auch Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel erreichen. Die Bundesregierung übermittelte für das laufende Jahr Verteidigungsausgaben nach Brüssel, die nach Nato-Berechnungen einer Summe von 73,41 Milliarden Dollar entsprechen. Dies ist für Deutschland in absoluten Zahlen ein Rekordwert und würde nach aktueller Nato-Prognose eine BIP-Quote von 2,01 Prozent bedeuten.

Wer wird Nachfolger von Stoltenberg?

Unbeantwortet ließ Stoltenberg allerdings eine Frage, die in diesen Tagen vielen Beobachtern unter den Nägeln brennt. Wer wird neuer Nato-Generalsekretär? Die Planung ist, dass US-Präsident Joe Biden in diesem Jahr auf dem Jubiläumsgipfel in Washington am 9. Juli einen Nachfolger präsentiert. Damit sollte in schwierigen Zeiten die Geschlossenheit der Allianz unterstrichen werden, gut 75 Jahre nach Unterzeichnung des Nordatlantik-Vertrags am 4. April 1949.

Doch noch immer zeichnet sich kein Konsens ab, wer die Allianz führen soll. Großer Favorit ist der langjährige niederländische Regierungschef Rutte, der nach seiner Niederlage bei den Parlamentswahlen gegen den Rechtspopulisten Geert Wilders im November einen neuen Posten sucht. Für ihn haben sich die USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien starkgemacht. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) lobte Rutte: „Mit seiner immensen Erfahrung, seiner großen sicherheitspolitischen Expertise und seinem ausgeprägten diplomatischen Geschick ist Mark Rutte ein herausragender Kandidat.“

Osteuropa meldet sich zu Wort

Doch es hat niemand damit gerechnet, dass die Länder Osteuropas mit großem Nachdruck Anspruch auf den Posten erheben könnten. Überraschend hat der rumänische Präsident Klaus Iohannis seine Kandidatur bekannt gegeben. „Ich habe beschlossen, mich um den Posten des Nato-Generalsekretärs zu bewerben“, sagte er am Dienstag. Im Gespräch sind auch die estnische Regierungschefin Kaja Kallas, zumal sie die erste Frau an der Spitze des Bündnisses wäre. Auch Lettlands Außenminister Krisjanis Karins zeigt Interesse. Gegen beide spricht aus Sicht westlicher Staaten, dass sie zu eng in den Konflikt mit Russland involviert sind.

Und dann gibt es noch den Unsicherheitsfaktor Viktor Orban. Der ungarische Regierungschef hat bereits sein Veto gegen Rutte angedeutet, weil sich der auf EU-Ebene mehrfach kritisch zu Rechtsstaatsmängeln in Ungarn geäußert hat. Zudem legt es Orban darauf an, seinen „guten Freund“ Donald Trump zu unterstützen und Joe Biden zu düpieren. Der US-Präsident hatte dem Ungarn kürzlich vorgeworfen, er strebe nach einer „Diktatur“. Inzwischen wird sogar gemunkelt, dass Stoltenberg nach 2022 ein weiteres Mal überredet werden soll, noch ein Jahr auf dem Posten weiterzumachen. Ob das gelingt, ist allerdings mehr als fraglich.