Seit fünf Jahren tobt der Krieg in Syrien. Nun keimt erstmals ein klein wenig Hoffnung. Die Feuerpause hält weitgehend, in Genf starten die Gespräche erneut. Die Woche könnte ein Wendepunkt in der Geschichte werden, sagt StZ-Korrespondent Martin Gehlen.

Damaskus - Die syrische Tragödie ist in Horrorziffern erstarrt, der angerichtete Schaden ins Unermessliche gestiegen. 300 000 Menschen kamen bisher in den fünf Bürgerkriegsjahren um, 1,9 Millionen sind verletzt, 500 000 in Hungerenklaven gefangen. Nach dem Urteil internationaler Hilfsorganisationen waren die letzten zwölf Monate bisher die schlimmsten. Die Zerstörungen haben das Mittelmeerland um drei Jahrzehnte zurückgeworfen. Genauso verheerend ist der immaterielle Schaden – die politischen, sozialen, kulturellen und religiösen Verwüstungen der unglücklichen Nation.

 

Und dennoch glimmt in dieser Woche erstmals ein Funken Hoffnung. Die vor zwei Wochen ausgerufene Waffenruhe hält im Großen und Ganzen – punktgenau zum fünften Jahrestag des Massenmordens der bisher wichtigste diplomatische Erfolg. Und kaum schweigen die Waffen, versammeln sich die Menschen wieder auf ihren ausgebombten Straßen. Tausende nutzten die Atempause, um erneut – wie in den Anfangstagen in Frühjahr 2011 – friedlich gegen das Regime von Baschar al-Assad zu demonstrieren und ihre Rechte gewaltfrei einzufordern. Ihr Diktator dagegen denunziert nach wie vor jedes Aufbegehren als Revolte von Terroristen gegen sein säkulares Regime – eine PR-Strategie, an der er bis heute unbeirrt festhält.

In Genf wird zehn Tage lang verhandelt

UN-Vermittler Staffan de Mistura hat in Genf die erste Verhandlungsrunde unter seiner Regie auf zehn Tage angesetzt. Gleichzeitig startete er offiziell den im letzten November in Wien international vereinbarten 18-monatigen Fahrplan für einen politischen Übergang. Bis spätestens Mitte September 2017 muss Syrien unter UN-Aufsicht ein neues Parlament und einen neuen Präsidenten wählen, der die Macht von Diktator Assad übernimmt. Dessen Regime in Damaskus jedoch tut alles, um Kompromisse zu torpedieren. Seine Mächtigen fühlen sich auf der Siegerstraße, sehen eine mögliche Rückeroberung der zweiten Metropole Aleppo bereits zum Greifen nahe. Ähnlich starr agieren auch die regionalen Kontrahenten Türkei, Saudi-Arabien und Iran, die ihr Streben nach nahöstlicher Hegemonie nach wie vor auf syrischem Boden ausfechten wollen. Einzig die USA und Russland sind im Zusammenwirken mit Europa entschlossen, den Brandherd auszutreten, auch wenn sie das Schicksal von Assad ausklammern.

Wie schnell und wie laut die Uhr für den Diktator und seine Regimegrößen tickt, hängt vor allem von Russland ab. Dass Assad auf Dauer nicht mehr zu halten ist, weiß man im Kreml. Und so wird es den Russen darauf ankommen, die territoriale Gestalt und Führungsstruktur eines „brauchbaren Restsyriens“ im Westen abzustecken, mit dem sich seine strategischen Interessen im Mittelmeer bewahren lassen.

Im Osten des Landes dominieren die Rebellen

Im Osten des Landes dagegen sind beträchtliche Territorien an die Kriegsherren von Islamischem Staat und Al-Nusra-Front gefallen. Die syrischen Kurden im Norden sind faktisch autonom. Und so machen die internationalen Diplomaten keinen Hehl mehr daraus, dass sie für die nächsten Jahre eine föderale Struktur des kriegszerstörten Landes anstreben, welches möglicherweise niemals wieder zu einem intakten Nationalstaat zusammenfinden wird.

Die Genfer Schicksalswoche könnte erste Weichen zu diesem Ergebnis stellen. Scheitern die Gespräche allerdings ein weiteres Mal, wird auch die fragile Waffenruhe bald kollabieren und die nächsten zehntausend Menschen mit in den Abgrund reißen. Kommt es auf der anderen Seite erstmals zu substanziellen Gesprächen über den Weg in eine Nachkriegsordnung, könnte diese dritte Märzwoche im Jahr 2016 als Wendepunkt in der syrischen Tragödie in die Geschichte eingehen.