Mehrere hundert Frauen aus Waiblingen sind am 9. April 1945 einem Aufruf zu einer Demonstration auf dem Rathausplatz gefolgt. Sie protestierten lautstark gegen eine Verteidigung der Stadt gegen die heranrückenden alliierten Truppen.

Waiblingen - War es nun der 9. April 1945 oder doch der 10.? Ein Montag sei es gewesen, heißt es in den Aufzeichnungen mehrerer Zeitzeugen. Und da der 9. April damals auf einen Montag gefallen ist, spricht vieles dafür, dass sie an diesem Tag, also vor genau 70 Jahren, auf den Waiblinger Rathausplatz gezogen sind: Mehrere hundert Frauen und auch Kinder, die einem Aufruf zu einer Demonstration gefolgt waren und gegen eine Verteidigung der Stadt gegen die heranrückenden alliierten Truppen protestierten.

 

Punkt 14 Uhr waren sie zur Stelle, drängten sich auf dem Platz vor dem damaligen Rathaus, an dessen Standort sich heute der Ratssaal befindet. „Gebt unsere Stadt frei“, hätten die Versammelten gerufen, schreibt die im vergangenen Jahr verstorbene Hanna Keyler in ihrem Tagebuch. Sie war zum Zeitpunkt der Demo Anfang 20, und was sie in ihren Aufzeichnungen schildert, deckt sich weitgehend mit den Aussagen des damaligen Stadtpfarrers Karl Altenmüller. Letzterer hat das Ereignis im Jahr 1974 in einem vom Heimatverein Waiblingen veröffentlichten Band niedergeschrieben.

Falscher Fliegeralarm

Auch er berichtet von einem großen Menschenauflauf und davon, dass der kommissarische Bürgermeister, der NSDAP-Ortsgruppenleiter und ein Polizeihauptmann auf dem Rathausbalkon erschienen seien und versucht hätten, die Menge zum Heimgehen zu bewegen. Sirenengeheul sei ertönt, der Polizeimann habe „Fliegeralarm“ gerufen, doch die protestierenden Frauen „lachten und blieben stehen“.

Tatsächlich war da nichts im Anflug und auch der mehrfache Appell des Bürgermeisters, den Platz zu räumen, verhallte wirkungslos. Schließlich hielt der Ortsgruppenleiter eine Ansprache und beteuerte, gegen die Verteidigung der Stadt könnten die Anwesenden nichts tun, denn die liege allein in den Händen der Wehrmacht, welche auch Sprengsätze an den beiden Remsbrücken angebracht habe. Glauben schenkten die Protestierenden dem Mann offenbar nicht. Altenmüller wie Keyler berichten von Gelächter und Zwischenrufen, die auch nicht verstummten, als den Frauen mit Maschinengewehren gedroht wurde.

Waiblingen war lange Zeit recht glimpflich davongekommen, erst im Jahr 1944 gab es zwei Luftangriffe mit mehreren Toten. Doch kurz vor Ende des Kriegs kamen immer mehr Zivilisten im Remstal an, die aus den Kampfgebieten geflohen waren. Und im Kreiskrankenhaus lagen Verletzte, die in die schweren Kämpfe um die Stadt Heilbronn verwickelt gewesen waren. All das hat sich vermutlich in Waiblingen herumgesprochen und dazu geführt, dass die Frauen auf die Straße gingen, um zu retten, was zu retten war.

Drei Frauen als Initiatorinnen

Drei Frauen, alle Nachbarinnen, gelten als die Initiatorinnen der Aktion: Erna Frank, Erna Schaal und Berta Rupp. Nach den Schilderungen von Erna Franks Sohn Helmar, nachzulesen im Buch „Waiblinger Wundertüte“, hat offenbar ein Telefonat der Mutter am 8. April zu der Idee geführt. Bei diesem Anruf habe Erna Frank von einer ähnlichen Aktion in einer anderen Stadt erfahren und mit den Nachbarinnen beschlossen, eine Demonstration auf die Beine zu stellen. Die Milchfrau, die viel herumkam, verbreitete die Nachricht unter den Frauen in der Stadt.

Susanne Frank, die im Rahmen der Frauengeschichtswerkstatt über die Waiblinger Frauendemo geforscht hat, mit Erna Frank jedoch nicht verwandt ist, hat recherchiert, dass es in Ludwigsburg ebenfalls Proteste von Frauen gab – allerdings erst einige Tage später, am 14. April.

„Diese Aktion war nicht ungefährlich“, sagt Kornelia Minich vom Waiblinger Frauenrat, „dorthin zu gehen war schon irgendwie ein Abenteuer.“ Die Frauen hätten zwar gewusst, von wem die Initiative zur Demo gekommen sei, diese Information aber nicht weitergegeben. Und die drei Ideengeberinnen hätten sich später nie mit ihrem Tun gebrüstet: „Sie haben ihr Verhalten als normale Reaktion empfunden, als eine Frage des gesunden Menschenverstands.“ Auch deswegen sei die Frauendemo nicht sehr präsent in der Stadtgeschichte. Deshalb sei es aber auch ein fester Programmpunkt bei Stadtführungen, am Rathaus auf dieses historische Ereignis hinzuweisen.

„Mit der Demo haben die Frauen verhindert, dass die Brücke am Beinsteiner Tor gesprengt wurde“, sagt Kornelia Minich. Über diese Brücke sind am 21. April die amerikanischen Panzer in die Stadt gerollt. Zuvor waren der katholische Vikar Hans Böhringer und Alfred Rupp den Soldaten mit einer weißen Fahne entgegen gegangen. Eine Aktion ganz im Sinne der Waiblinger Frauen.