Die Kriminologin Monika Frommel kritisiert die #metoo-Kampagne scharf. Sie betrachtet sie als Auswuchs einer „mediengeilen Gesellschaft“ ohne Maßstäbe. Ihr missfällt zudem, dass Solidarität über den Opferstatus hergestellt wird.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Kiel - Bei ihrer Sicht auf die Welt hat die Kriminologin Monika Frommel stets feministische Perspektive berücksichtigt. Die #metoo-Kampagne hält sie für sinnentleert, die in einem Klima von Sexualfeindlichkeit, Geilheit und der Kommerzialisierung von Sexualität gedeihe.

 
Frau Frommel, sprechen jetzt die Opfer sexueller Gewalt, die früher geschwiegen haben, weil Ihnen keiner geglaubt hat?
Was heißt früher?
Erleben wir nicht gerade einen Wandel?
Ich kann ihn nicht erkennen. Das ist ein Amerikanismus, der sich wohl indirekt gegen Trump richtet. Und es ist ein Armutszeugnis für die derzeitige feministische Bewegung, so inhaltsleer zu polemisieren. Man könnte fundierter argumentieren.
Reden Sie von Amerika oder auch von Europa?
Von beidem. Wir hatten ja in Deutschland 2016 eine Schutzlückenkampagne zur Reform des Vergewaltigungspararafen erlebt, die ähnlich unreflektiert war.
Auch in Deutschland melden sich Frauen unter dem Hashtag #metoo zu Wort. Sind Sie erstaunt?
Ich bin enttäuscht, aber nicht wirklich erstaunt, weil sich diese schleichende Sinnentleerung schon seit einigen Jahren andeutet. Das heißt, die verschiedenen feministischen Strömungen versuchen nicht mehr zu diskutieren, sie wiederholen sich. Empirisches Wissen wird nicht mit theoretischen Diskussionen verknüpft. Sie machen jetzt nur noch ganz platte Kampagnen. Da steht nicht mehr viel dahinter.
Viele nehmen für sich in Anspruch, zum ersten Mal zu sprechen und wollen eine neue Diskussion anzufachen.
Für was? Die Hand aufs Knie zu legen? Wenn ich mir die Bilder anschaue– auch von Frau Gwyneth Paltrow von vor 30 Jahren – mit großem Dekolleté. Eng umschlungen himmelt sie Weinstein an. Selbstverständlich konnte auch zu dieser Zeit jede Frau sagen: Ich will nicht. Der asymmetrische Tausch „Rolle gegen Gefälligkeiten“ muss ja nicht eingegangen werden. Das ist doch klar.
Das stellen Sie nicht in Frage?
Nein, nicht mehr für die 1980er Jahre. Natürlich gibt es bei vielen Frauen, und in den kreativen Berufen besonders häufig, so etwas wie einen asymmetrischen Tausch. Ich tausche meine sexuelle Attraktivität gegen Karrieremöglichkeiten. Und es gibt sicher zu allen Zeiten ein paar Soziopathen – und Weinstein scheint einer zu sein –, die geradezu besoffen sind von den latenten Angeboten, und das dann auch ganz brachial einfordern. Selbstverständlich hätte sich jede dieser Schauspielerinnen in den letzten 40 Jahren, wenn es denn solche brachialen Aktionen gegeben hat, sofort melden und es öffentlich machen können. Schweigegebote sind ja nie verbindlich gewesen. Hätten sie gesprochen, man hätte ihnen geglaubt.
Woran manchen sie das fest?
In Deutschland stammen die weit gefassten Sexualstraftatbestände aus dem Jahr 1997 (Ausnutzen einer hilflosen Lage). Spätestens damals war Gegenwehr möglich. In Amerika stammt das berühmte Buch „Against our will“ von Susan Brownmiller aus dem Jahr 1975. Das heißt, seit den 70er Jahren sind Gewalt gegen Frauen und Sexismus geläufige Themen. Die These, wonach Opfer nur aus Angst und Scham schweigen, ist jetzt 50 Jahre alt. Grob geschätzt ist sie seit etwa 20 Jahren nicht mehr realistisch.
Sie haben gerade gesagt „Weinstein scheint“ ein Soziopath zu sei. Was in der Diskussion auffällt, ist, dass es die Unschuldsvermutung nicht mehr gibt.
Bei den behaupteten „Vergewaltigungen“ ist es deutlich, dass sie nicht mehr ernst genommen wird. Etwas anderes sind Unanständigkeiten und die ekelhafte Art, sich Frauen mit dem Charme eines Betonmischers anzunähern. Aber das sind keine Straftaten. Das sind Unverschämtheiten, die jede Frau öffentlich machen kann.
Überrascht sie die Schnelligkeit, mit der auf Vorwürfe der Rausschmiss folgt?
Es wirken starke Mechanismen, eine Mischung aus Sexualfeindlichkeit und Geilheit, der Kommerzialisierung von Sexualität und ein Opportunismus, der zunächst entschuldigt und dann verdammt. Im angelsächsischen (Un)kulturbereich wird das sehr hochgespielt und man ist schon ein gebrannter Mann, wenn man Opfer einer solchen Kampagne geworden ist. Besonders interessant sind die homophoben Fälle, wenn es also um junge Männer geht. Da kommt ja noch ein weiteres Element dazu. Wir hatten ja eine ähnliche, insgesamt gesehen ebenfalls ziemlich widerliche Kampagne gegen Edathy erlebt. Da wurde alles vermischt: Pädophilie und Homosexualität. Schlechter Geschmack wird mit dem Schlagwort „Rape-Culture“ in eine völlig falsche Richtung gedrängt. Das ist ein illiberaler Feminismus, vermischt mit einem Populismus, der etwa auch erklärt, warum in Großbritannien der Brexit so leicht gelang und in den USA Trump die Wahl gewonnen hat. Diese Strömungen sind alle hochgradig rechtslastig.
Bietet ein rechts-konservatives Milieu das passende Umfeld?
Das Wort konservativ würde ich streichen. So etwas geschieht in einer mediengeilen Gesellschaft, die ihre Maßstäbe verloren hat.
Was sind die Maßstäbe?
Das wäre zum einen die Unschuldsvermutung, wenn man von Vergewaltigung spricht. Und zum anderen sollte man aufpassen, bevor man eine solche Kampagne, die ja wie ein medialer Pranger wirkt, lostritt. Wie wirkt sich das auf das gesellschaftliche Klima aus?
Begeben sich Frauen durch die Kampagne freiwillig in die Opferrolle?
Wir leben in einer viktimeren Gesellschaft, die mit dem Opfersein geradezu kokettiert und Solidarität immer nur über die Opferrolle einfordert. Rechtsstaatliche Bedenken verlieren an Bedeutung. Bei der Kampagne „Auch ich habe abgetrieben“ in den 1970er Jahren haben prominente Frauen versucht, einen Straftatbestand abzuschaffen oder zumindest zu ändern. Es ging um Freiheit, nicht um mehr Kontrolle. Jetzt macht man Kampagnen, um schneller und stärker zu bestrafen. So gesehen sind das rechte Bewegungen.
In ihren Augen kapituliert der Feminismus hier und formiert sich nicht etwa neu?
Hier zeigt sich eine bedenkliche feministische Strömung, die schon seit Jahren in ihrer inhaltleeren Polemik sichtbar geworden ist. Sie wiederholt immerzu dasselbe und wird immer dümmer. Wir haben jetzt einen uferlos weiten Paragrafen 177, sexuelle Nötigung, der für Strafgerichte nicht mehr handhabbar ist. Weil „gegen den Willen“ nicht justiziabel ist. Da war die Frauenbewegung, die meinte, sie müsste ein Menschenrecht für Frauen durchsetzen, unbelehrbar. Die Begründungen waren inhaltsleer, da nur ein paar Einzelentscheidungen skandalisiert wurden, um einen undurchdachten Gesetzesentwurf durchzusetzen. Die Feigheit im Bundestag war sprichwörtlich, denn dass die Schwierigkeiten für Staatsanwaltschaften und Gerichte unlösbar sein werden, das war vorhersehbar.
Was aber soll eine Frau tun, die sich nun traut, über sexuelle Übergriffe – welcher Art auch immer - zu sprechen?
Seit 1986 haben wir bereits ein Klima, in dem jede Frau und jedes Missbrauchsopfer sich äußern kann. Seitdem gibt es keine Legislaturperiode ohne eine weitere Verbesserung der Opferrechte. Wenn eine Frau Opfer geworden ist, soll sie sich äußern. Aber bitte nicht in solchen Kampagnen nach Jahrzehnten.
Sie unterstellen, dass sich die Gesellschaft mal wieder aufregen will.
Die einzige, die mir gefallen hat, war Sophia Thomalla, die auf Instagram ein Sexsymbol-Bild von sich veröffentlicht und dazu gesagt hat, so habe sie die Rolle bekommen. Das war natürlich satirisch gemeint, aber irgendwie treffend und schlau.
Sie steht in der Öffentlichkeit nicht unbedingt für Feminismus.
Sie ist selbstbewusst, emanzipiert und hat etwas gegen sinnentleertes Geschwätz, das feministisch zu sein vorgibt, es aber nicht ist. Wir sollten einem so lächerlichen Aufruf nicht das Label Feminismus aufkleben. Das ist Markenmissbrauch.

Das Gespräch führte Hilke Lorenz.