Die in Stuttgart lebende Künstlerin Marie Lienhard hat einen Ballon in die Höhe geschickt, um von dort Geld regnen zu lassen. Die unorthodoxe Geldverteilung scheiterte – nun haben Diebe das Geld in Umlauf gebracht.

Stutttgart - Vieles hat nicht ganz so funktioniert, wie es sich die in Stuttgart lebende Künstlerin Marie Lienhard bei der Vorbereitung ihres Kunstprojekts „World picture“ ursprünglich vorgestellt hatte. Dennoch ist sie nach allerlei Pleiten, Pech und Pannen glücklich und frohlockt zufrieden: „Alles ist perfekt. Besser hätte es zum Schluss eigentlich nicht kommen können.“ Und dies, obwohl ihr neben vier hochwertigen Videobeamern auch 930 Euro Bargeld gestohlen wurden. Doch der Reihe nach.

 

Geld mit Ballon in die Stratosphäre geschickt

Mit einem Ballon hat die 35-Jährige am 20. Mai diesen Jahres 100 von Künstlern und anderen Persönlichkeiten beschriftete und gestaltete 10-Euro-Scheine in die Stratosphäre geschickt. Von dort sollten diese aus mehr als 30 Kilometern Höhe auf die Erde als eine Art bedingungsloses Grundeinkommen herabregnen. Woher die Scheine stammen, darauf verwies ein Stempel mit der Internetadresse Marie Lienhards.

Der Start an frühen Morgen des Pfingstmontags verlief nach Plan. Auch die eingesetzte Technik, mit der der gesamte Flug verfolgt und dokumentiert wurde, funktionierte einwandfrei. Selbst der Ballon, in dem Lienhard die 100 Scheine platziert hatte, platzte planmäßig in 32 Kilometern Höhe. Pech nur: ein Teil der Ballonhülle wickelte sich in Sekundenbruchteilen um die Scheine. Sie regneten nicht herab, sondern fielen als Bündel bei Königsbach-Stein im Enzkreis zu Boden. Die angestrebte Verteilung war gescheitert. Und Marie Lienhard konnte so freilich auch auf keine Reaktionen von Findern der Geldscheine hoffen. Diese hätten Teil des von langer Hand geplanten Kunstprojektes sein sollen.

Seit dem 5. Juli bei der Ostrale zu sehen

Lienhard modifizierte ihr Projekt, das seit dem 5. Juli bei der Ostrale in Dresden zu sehen ist. Anstelle der Präsentation von Reaktionen auf den himmlischen Geldregen und der erhofften Geschichten, wie die individuell gestalteten Scheine den Weg wieder zu der Künstlerin gefunden haben, zeigte die Künstlerin auf der Ausstellung zeitgenössischer Kunst die Scheine in einer Art gläsernem Tresor. Die Freude der Besucher beim Anblick der 100 individuell gestalteten Geldscheine währte aber nur kurz. Bei einem Einbruch auf dem Messegelände in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli stahlen Diebe 93 der 10-Euro-Scheine. Und auch die Videobeamer, mit denen Lienhard die Ostrale-Besucher an dem mit Hochleistungskameras aufgezeichneten Flug teilhaben ließ, erbeuteten die Täter.

Die von den Dieben zerstörte Installation ist mit Ersatzgeräten längst wieder hergestellt. Statt ursprünglich 100 sind zwischenzeitlich aber nur noch sieben 10-Euro-Scheine zu sehen. „Das übrige Geld aber ist verteilt“, freut sich Lienhard, nachdem sich die anfängliche Verärgerung gelegt hat. Mit großer Spannung wartet sie nun darauf, wo die gestohlenen Scheine wieder auftauchen. Sämtliche Seriennummern hatte sie schließlich vor dem Flug der Noten in luftige Höhen notiert. Diese hat sie inzwischen der Bundesbank mitgeteilt. Dort sind die ersten zwei Scheine der gestohlenen auch schon aufgetaucht. Nur einer existiert aber noch. Weil die Geldscheine bemalt und beschriftet wurden, wurden sie von den Banken als beschädigt aus dem Verkehr gezogen und zur Bundesbank geschickt, damit sie dort vernichtet und gegen neue Scheine ausgetauscht werden. Ein Schein ist bereits in einem Reißwolf der Bundesbank vernichtet worden. Der zweite wurde aber vor diesem Schicksal bewahrt. Er soll inzwischen auf dem Weg zur Polizei nach Dresden sein. Die hofft darauf, an dem Geldschein mögliche Spuren von den Tätern zu finden. Bislang war die Suche nach den Dieben erfolglos.

Diebstahl erweist sich als ein Glücksfall

Für Marie Lienhard indes erweist sich der Diebstahl als ein Glücksfall. Das Geld sei zwar anders als geplant in den Wirtschaftskreislauf geraten, „aber im Prinzip wurde das Ziel meines Projektes erreicht“, sagt sie. Nun hofft sie, dass das Geld auch ausgegeben wird und sich diejenigen, die einen der beschrifteten und gestempelten Scheine erhalten, bei ihr melden. Selbst auf eine Reaktion der Täter hofft sie: „Von jedem Internetcafé aus können sie sich anonym bei mir melden, ohne dabei Spuren zu hinterlassen“, sagt sie – wohl wissend, dass die Polizei jedem Hinweis auf die begangene Straftat nachgehen muss.

Mit dem Projekt, das die Künstlerin teilweise über Crowdfunding finanziert hat und bei dem sie auch Unterstützung von Götz Werner, dem Gründer der Drogeriemarktkette dm erfahren hat, will die Künstlerin aus einer anderen Perspektive einen Blick auf die Ökonomie werfen. Lienhard versteht „World picture“, das als Teil eines weltweiten Projektes des französischen Streetartkünstlers JR organisiert wurde, als eine Position für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Als politische Künstlerin sieht sich grundsätzlich aber nicht.

Lienhard wird erneut Ballon in den Himmel schicken

Am 13. September wird Lienhard vom Gelände der Ostrale aus erneut einen Ballon in die Himmel schicken. Dann sind Besucherreaktionen auf ihr Projekt die Fracht und sollen dort herniederregnen. Auch will sie, wenn die Geldscheine ihren Weg zurück finden, diese erneut von Stuttgart aus in die Stratosphäre schweben lassen, damit ihr Projekt noch in der ursprünglich geplanten Form beendet werden kann. Auch will sie die Kunstinstallation baldmöglichst in der Landeshauptstadt zeigen. Dafür seien aber noch die geeigneten Räume und zur Finanzierung Förderer erforderlich.