Von Südbaden ins Bordelais, das größte und bekannteste Weinbaugebiet weltweit: Seit 18 Jahren ist Christian Schätzle Produktionschef in dem renommierten Weingut und verantwortlich dafür, dass jährlich 5000 Hektoliter erstklassige Qualität abgeliefert werden. Es ist auch in diesem Jahr eine Herausforderung.

Schelingen/Haut-Médoc - „Das ist ein bisschen eine Nervensache in diesem Jahr.“ Christian Schätzle mustert kritisch die Merlot-Reben im Weinberg. Schädlinge wie der Traubenwurm sind 2013 weniger das Problem. Es ist das Wetter, das den Winzern zu schaffen macht. Ende August sollten die Stöcke voll reifer Früchte hängen. Doch wegen des kühlen Frühjahrs hinkt die Vegetation auch im Bordelais, dem größten und bekanntesten Weinbaugebiet weltweit, etwas hinterher. Die Beeren sind nicht so prall wie sonst, ungewöhnlich viele sind grün geblieben bisher. Schätzle steht wieder mal vor einer Herausforderung. Der Südbadener ist Produktionsdirektor des Château Citran, er trägt die Hauptverantwortung dafür, dass eines der renommiertesten und mit einem jährlichen Ausstoß von 5000 Hektolitern größeren Weingüter im Haut-Médoc erstklassige Qualität abliefert. „Das Niveau geht nach oben“, sagt der 53-Jährige über die Entwicklung auf dem Weinmarkt. „Und wenn man da nicht mithält, geht es für einen nach unten.“

 

Seit 18 Jahren führt Schätzle Regie auf dem Château Citran. Sollte er sich heuer echte Sorgen machen, so lässt er sich das in seiner ruhigen und bedächtigen Art zumindest nicht anmerken. Einen „Simsengräbsler“ auf den Markt zu bringen, kann sich das Château, das von der Familie Donissan de Citran im elften Jahrhundert begründet wurde, nicht leisten. Dass aufgrund natürlicher Einflüsse wie der Temperatur, der Zahl der Sonnenstunden, der Niederschlagsmenge jeder Jahrgang seine eigene Note hat, ist ja im Grunde auch gut so. Klone will Schätzle nicht haben. „Jeder neue Jahrgang ist wie ein Kind. Die Kinder ähneln sich, und doch ist jedes anders.“

Hinter Schätzle wird gerade der 2011er „Moulins de Citran“ abgefüllt, der Zweitwein wohlgemerkt. Denn der teurere der beiden Roten, der etwas länger in der Barrique war, ist bereits in den Flaschen. Durch Kunststoffschläuche läuft der rote Saft zu der mobilen Abfüllanlage, die ein Dienstleister für diese Arbeit aufgebaut hat. Eine eigene Anlage rentiert sich für das Château nicht. Der Weinmarkt ist umkämpft, entsprechend hoch der Kostendruck. Ein Pfau stolziert heran und schaut neugierig zu. Im Park rund um das Château tummelt sich eine ganze Reihe von weiteren farbenprächtigen Artgenossen. Viel weiß Christian Schätzle nicht über diese Vögel. Er ist Önologe und kein Ornithologe. Was er weiß, ist, dass der Pfau von jeher das Wappentier des Château Citran ist und das Etikett jeder hier abgefüllten Flasche ziert.

Ein schwarzes „S“ auf goldenem Grund ist das Markenzeichen der Burgunder, die das Weingut Schätzle in Schelingen am Kaiserstuhl keltert. Dort wird Christian Schätzle im elterlichen Weinbaubetrieb groß. Nach der Lehre zum Weinhandelsküfer lässt er sich in der Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau in Weinsberg bei Heilbronn zum staatlich geprüften Weinbautechniker ausbilden.

Kulturschock in der Provence

Nach der Reifezeit in der Unterländer Talentschmiede will Christian Schätzle Erfahrungen im Ausland sammeln. Sein Lehrmeister schlägt ihm damals Uruguay vor. Dort zieht es Schätzle aber nicht hin. „Die politische Lage war mir nicht sicher genug“, sagt er. Fündig wird er schließlich in Südfrankreich, wo er auf dem Weingut Château Bas Anstellung findet.

Die Lebensart und die Arbeitsweise in der Provence unterscheiden sich von denen im Ländle. „An Anfang war es nicht unbedingt leicht“, erinnert sich Christian Schätzle. Der Kulturschock, fügt er lächelnd hinzu, sei bei den Kollegen aber größer gewesen als bei ihm selbst. „Ich war jung und hatte meine Vorstellungen. Ich habe die Organisationsabläufe etwas gestrafft.“ Fünf verschiedene Nationalitäten arbeiten in dem Betrieb. Schätzles Französischkenntnisse sind rudimentär. Doch das Team vom Château Bas rauft sich zusammen. „Nach einer gewissen Zeit habe ich das multikulturelle Klima als Bereicherung empfunden.“ Schätzle steigt auf, leitet schließlich die Produktion.

Der Kontakt nach Südbaden reißt nie ab. „Ich habe die alte Heimat nie verlassen“, sagt Schätzle, „die Verbindung zur Familie ist intensiver, wenn man weiter weg ist.“ Ein- bis zweimal pro Jahr fährt er an den Kaiserstuhl, wo sein Bruder Thomas mit seiner Frau Friederike und dem Vater Gregor das elterliche Weingut führt. Natürlich wird dort im Familienkreis Wein verkostet und über die Vorzüge der einzelnen Tropfen und Produktionsmethoden gefachsimpelt. Übertragbar sind Anbautechniken von einer Region auf die andere aber kaum. Zu unterschiedlich sind die Böden, zu speziell ist das jeweilige Mikroklima. „Man respektiert die Natur des Weinbergs, das kann keiner nachmachen“, sagt Schätzle.

Ein bis zwei Jahre Frankreich, nimmt er sich seinerzeit vor. Doch die Zeit vergeht. Schätzle belegt zwei Sommerkurse in Angers, um die Sprache besser zu lernen. Nach zehn Jahren im Coteaux d’Aix-en-Provence ist es an der Zeit für eine Luftveränderung. Im Jahr 1995 heuert Schätzle auf dem Château du Grand Mouëys‎im Borde-lais an. Ein kurzes Intermezzo. Noch im selben Jahr wird Schätzle von einem Headhunter entdeckt, der ihn für das Château Citran abwirbt. Christian Schätzle wird die rechte Hand des Generaldirektors und macht nun endgültig große Weinkarriere.

2000 Eichenfässer für den Rouge

Er öffnet den Weinkeller. Der Duft des Rebensafts ist allgegenwärtig. Im Cuvier stehen die 330 Hektoliter fassenden Gärtanks aus Stahl und Holz. Hier, im Herzen der Produktion, steht auch eine Umkehrosmoseanlage. Sie kann dem Wein bei Bedarf Wasser entziehen, „um ihm etwas mehr Rückgrat und das i-Tüpfelchen zu geben“, wie Schätzle erklärt. „Das ist so, als wenn der Chefkoch seine Kreation noch etwas nachwürzt.“ Die Möglichkeiten, einen Wein zu frisieren, seien allerdings limitiert.

In zwei hallenartigen Räumen wird der Rouge weiter ausgebaut. Mehr als 2000 Eichenfässer stapeln sich, sie bieten Kapazitäten, um eine komplette Ernte aufzunehmen. 95 Prozent der Citran-Weine finden ihren Weg in die Flasche über die Barrique. In der Probierstube entkorkt Christian Schätzle eine Flasche Château Citran, Jahrgang 2006. „Er hat eine schöne Jugend, ist angenehm zu trinken, aber ich mag ihn am liebsten, wenn er zehn Jahre alt ist“, sagt er. Einen mitgebrachten Spätburgunder von einem bekannten badischen Weingut mit dem eigenen Produkt zu vergleichen, lehnt Christian Schätzle höflich, aber bestimmt ab. „Das sind absolut unterschiedliche Weine. Der eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Das wäre, als würden Sie ein chinesisches Gericht neben einen Rehbraten stellen.“

Beim Abschied fällt der Blick nochmals auf die Sorgenkinder im Weinberg. Rund 40 Prozent weniger Saft wird es geben. „Das Jahr 2013 ist schwierig“, sagt Schätzle. Gut, dass der Maître von Château Citran viel Erfahrung hat. Und starke Nerven.