Es geht ums schöne, schmutzige Geld: Mit der Schau „Kapitalströmung“ gelingt der wiedereröffneten Tübinger Kunsthalle ein Neustart.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Tübingen - Ruben Aubrecht muss sich keine Sorgen machen. Dem Künstler könnte schon bald ein beträchtlicher Geldsegen ins Haus flattern. Ein Kunstsachverständiger ist überzeugt, dass seine Kunst „hinsichtlich einer zu erwartenden Wertsteigerung“ großes Zukunftspotenzial besitzt – offiziell bescheinigt mit Unterschrift. Das Zertifikat scheint sich bereits bezahlt zu machen. Zumindest hat der Konzeptkünstler in der Kunsthalle Tübingen schlichte Kassenbons an die Wand geklebt, die den Verkauf von Zeichnungen belegen. Eine brachte sogar 10 000 Euro ein.

 

Es geht ums Geld in der Ausstellung „Kapitalströmung“, mit der die Kunsthalle Tübingen am Wochenende wiedereröffnet wurde. Nach umfassender Sanierung strahlt der Bau aus den siebziger Jahren überraschend freundlich und licht. Verschwunden ist die Kälte, die das Gebäude einst ausstrahlte, stattdessen ist ein modernes, ansprechendes Ausstellungshaus entstanden, das sogar um einen Saal erweitert wurde. Aber auch die erste Ausstellung, mit der der neue Direktor Holger Kube Ventura nach einem Jahr Vorarbeit nun seinen öffentlichen Einstand gibt, weckt Hoffnungen. Die Chancen stehen gut, dass die Kunsthalle in eine neue Ära geht und die Region bereichern wird als interessantes Ausstellungshaus, das auf der Höhe der aktuellen künstlerischen und gesellschaftlichen Debatten ist, dabei aber auch offen auf das Publikum zugeht. Tübingen könnte damit jene Kunsthalle bekommen, die Stuttgart bis heute fehlt.

Zum Auftakt also eine Schau rund um das schöne wie schmutzige Geld, das ja keineswegs nur ein neutrales Zahlungsmittel ist, sondern auch ideologisch aufgeladen wird, wie Ulrich Wüst aufzeigt. Er hat die Motive veralteter Banknoten fotografiert, die zugleich Werbeträger für die jeweiligen Regime waren. Ob Arbeiter oder Bauern darauf abgebildet wurden, Industrie, Landwirtschaft oder aber Kinder in der DDR beim Ringelreihen: Immer spiegelten sich darin auch politische Konzepte.

Videos, Fotografie, Malerei, Installation – alles ist vertreten

Mit Arbeiten von 13 Künstlerinnen und Künstlern und einem anregenden Querschnitt aus Videos, Fotografie, Malerei, Zeichnung und Installation will Holger Kube Ventura das sichtbar und auch besser verstehbar machen, was eigentlich im virtuellen Nirwana abläuft: die Finanzmärkte, die Wege des Kapitals im globalen Kapitalismus. Sozusagen das, was hinter den Logos und Signets steckt, die Gabriel Kuri in einer Vitrine versammelt hat. Es sind Firmenschilder und Symbole, die auf Banken und Geldautomaten hinweisen, jene Wunderkisten, die wie Goldesel endlos Geld auszuspucken scheinen.

„Du kannst Gewinn abschöpfen, wenn die Preise steigen – und wenn sie fallen“ lautet ein Gesetz der Börse, das Johanna Kandl auf eines ihrer Gemälde geschrieben hat, das einen Straßenmarkt in der Nähe von Krakau zeigt. Ein großer Teil der Arbeiten in „Kapitalströmung“ machen deutlich, dass Gewinn das ist, was anderen fehlt – oder gar weggenommen wird. „Tomorrow is ours“, „die Zukunft gehört uns“, hat Kandl auf ein Bild von schwarzen Frauen geschrieben, die barfuß durch die Wüste laufen. Eine Mahnung und Drohung zugleich, dass die Gewinner des globalen Kapitalismus schon bald die Verlierer sein könnten.

Noch aber schippern die Reichen auf Kreuzfahrtschiffen durch die Weltmeere. Auf der riesigen Fototapete, die Holger Wüst in den Hauptsaal der Kunsthalle gehängt hat, legt eines dieser Luxusmonster in Venedig an. Riesenhaft vergrößert prangt Karl Marx als Galionsfigur an der Spitze des Schiffes, während auf dem Markusplatz Zelte aufgeschlagen wurden, Plakate für Freiheit und Gleichheit werben und Flüchtlinge willkommen heißen. Eine Fotomontage zu der aberwitzigen Nähe von Flucht und Vergnügungsreise.

Den Preis des Wohlstands zahlen andere

Die beeindruckendste Arbeit der Tübinger Ausstellung stammt von dem italienischen Duo Paolo Woods und Gabriele Galimberti. Sie haben drei Jahre lang mit der Kamera Steueroasen dieser Welt bereist und machen mit ihren Fotografien die Auswüchse des globalen Finanzsystems sichtbar. Die Serie „The Heavens“ zeigt Freilager in Singapur, in denen Geld, Gold, Kunst in Milliardenhöhe eingelagert werden. Woods und Galimberti haben dem Hauptquartier des Wirtschaftsprüfers Ernst & Young einen Besuch abgestattet oder Finanzexperten auf den Jungferninseln, einem der wichtigsten Finanzdienstleistungszentren der Welt, das 28 000 Bewohner hat – aber 800 000 Unternehmen. Auf den Kaimaninseln haben die beiden wiederum die zahllosen Postfächer all jener Firmen fotografiert, die nicht mal ein Büro besitzen. Eine Fotoserie, die ungewöhnliche Einblicke ins System gibt und bewusst macht, wie raffiniert agiert wird, um die Steuer zu umgehen – und möglichst wenig ans Gemeinwesen abgeben zu müssen.

Den Preis des Wohlstands, das führt die Ausstellung eindringlich vor, zahlen letztlich immer andere. Seien es Hausangestellte, die sich neben ihrem Full-time-Job prostituieren müssen, oder Menschen, die in Hongkong in Käfigwohnungen leben, Kisten von nicht mal zwei Meter Länge. Bei Sven Johnes Fotografien muss man dagegen unwillkürlich an die Arbeiterinnen denken, die sich auf Blumenfeldern ihre Gesundheit durch Pestizide ruinieren, damit unsereiner allzeit frische Rosen verfügbar hat. Johne hat mehrere Sträuße dieser „Roses from Africa“ (2011) fotografiert, die weit gereist sind und nun auf dem Großmarkt in Hamburg vor sich hin welken, weil sie letztlich doch niemand haben wollte.