Mindestens vier Mal wird ein Mieterstreit um monatlich einen Euro Stromkosten bis September einen Richter und diverse Anwälte beschäftigt haben.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

S-Ost – Dieses Gerichtsverfahren hat wahlweise das Gewicht eines Stromzählers oder einer Rolle Elektrokabel. Heinz Müllers Garage ist ohne Strom. Was für den 75 Jahre alten Herrn ein misslicher Umstand ist, denn sein Garagentor lässt sich nur elektrisch öffnen und schließen – oder umständlich. Mit einer Zange kann er an einem Rad drehen. Bis Müller dann sein Auto aus der Garage fahren kann, „dauert es aber über eine Stunde“. So hat er es vor Gericht versichert, an Eides statt. Deshalb hätte er gern wieder Strom.

 

Den will seine Vermieterin ihm aber keinesfalls anschließen. Auch nicht vorübergehend, obwohl „das doch sehr vernünftig wäre“. Diesen Halbsatz spricht der Richter Ludwig Schumacher. In einer Verhandlungspause wird er nachher sagen, dass die Zahl der zumindest vordergründig kuriosen Verfahren wegen Mietstreitigkeiten mit dem Mietniveau steigt. Mieter fühlen sich von Erhöhungen gepiesackt und schlagen zurück. Vermieter wollen ihre Wohnungen leerräumen, weil sie bei Neuvermietungen kräftig aufschlagen können.

Die Kündigung war rechtswidrig

In diesem Verfahren spielt Vernunft offenkundig nicht die entscheidende Rolle. Es ist bereits der zweite Prozess um Stromkosten von höchstens einem Euro monatlich. Die hat Heinz Müller nach Lesart seiner Vermieterin illegal abgezweigt, auf Kosten der Hausgemeinschaft. Dass Müller nichts abzweigte, sondern die Leitungen einschließlich der Steckdose in seiner Garage seit Bau des Hauses so lagen, wie sie heute noch liegen, interessiert dabei nicht. Seine Vermieterin kappte ihm als Strafe für den Frevel die Leitung und kündigte ihm obendrein den Mietvertrag, nicht für die Garage, gleich für die ganze Wohnung.

Dass die Kündigung rechtswidrig war, ist das Ergebnis des ersten Prozesses wegen der Steckdose in Müllers Garage. Den haben Müller und sein Rechtsanwalt Ulrich-Michael Weiss uneingeschränkt gewonnen. Der alte Herr darf in seiner Wohnung bleiben – oder auch nicht, denn die Gegenseite ging umgehend in die Berufung. Ein dritter Prozess wird also folgen. Selbstverständlich möchte Müller auch danach weiter in seiner Wohnung an der Haußmannstraße leben, aber einstweilen hätte er erstmal gern wieder Strom.

Es könnte ein zusätzlicher Stromzähler montiert werden

Der Richter ergründet die Möglichkeiten, Müllers Garage wieder ans Netz anzuschließen. Die einfachste wäre, die Kabel dort wieder zu verbinden, wo sie gekappt wurden – aber eben ohne, dass der Verbrauch von Müllers Garagentor abgerechnet werden könnte. Zwischen den gekappten Enden könnte ein Stromzähler montiert werden. Das ist Möglichkeit zwo. Oder aus einer Steckdose in der Wohnung des alten Herrn könnte die Elektrizität abgezweigt und ein Kabel in seine Garage hinein verlegt werden.

„Finden wir eine Lösung?“, fragt Schumacher. Jörg Staudenmayer, ein gewichtiger Mann von Caroll Burdick, einer gewichtigen Kanzlei mit weltweiten Niederlassungen, zieht sich mit seiner Mandantin zum Gespräch zurück, um die Frage korrekt beantworten zu können.

Die Antwort lautet: Der alte Herr darf ein Kabel von seiner Wohnung in seine Garage legen, allerdings nur vorübergehend. Eben dies hatte Müller schon getan – worauf ihm sein Mietvertrag noch einmal gekündigt wurde, diesmal wegen Brandgefahr. Zum Verlegen des neuen Kabels, sagt Staudenmayer, müsse Müller „eine Fachfirma beauftragen, auf seine Kosten“. Die Zahl von 300 bis 400 Euro schwirrt durch den Gerichtssaal. Schumacher gibt zu bedenken, dass ein Stromanschluss Vermietersache sei.

Dann würde er gern sein Urteil verkünden, wogegen Staudenmayer allerdings Einspruch erhebt. Er habe das letzte Schreiben der Gegenseite noch nicht erhalten und wolle erst darauf antworten. So wird der Fall Steckdose – mindestens – ein viertes Mal einen Richter beschäftigen. Am 9. September wird Schumacher das Urteil im Saal 302 des Amtsgerichts verkünden.