Weil viele japanische Angestellte keine Zeit für Urlaube haben, schicken sie stattdessen ihre Kuscheltiere um die Welt. Klingt wie ein Scherz, ist aber ein ernst gemeintes Angebot eines Reisebüros in Japan.

Tokio - „Hallo Yokohama!“, blökt ein pinkfarbenes Schaf auf Englisch und Japanisch und dreht sich keck zur Kamera, „der Wind fühlt sich so gut an!“. Im Hintergrund lässt sich die Skyline der japanischen Hafenstadt Yokohama südlich von Tokio erkennen. Das wollige Tier ist nicht alleine unterwegs. Mit von der Partie sind an jenem heißen Augusttag noch zwei Pandabären, ein braunes Fabeltier und eine dicke graue Katze. Sie sind außer Rand und Band vor Freude, als sie auf dem Steuerrad des einstigen Nobelpassagierschiffs Hikawamaru posieren dürfen. Denn auf dem Schiff, das heute ein Museum ist, reiste schon Charlie Chaplin um die Welt.

 

Später besucht die tierische Truppe den Yamashita Park, genießt gefüllte Teigtaschen in Japans größter China Town und fährt Riesenrad. Ihre Abenteuer hält die Reiseleiterin mit der Kamera fest und stellt sie auf Facebook und Twitter. Wenige Stunden später haben 60 Fans „Gefällt mir“ gedrückt. „Passt auf, dass ihr keinen Hitzschlag bekommt“, warnt ein Nutzer. Die plüschigen Kleinen kommen wenig später dem Ratschlag nach und sitzen mit einem in Wasser getränkten Tuch auf dem Kopf auf der Parkbank.

Kaum jemand arbeitet mehr als die Japaner

Reisen für Kuscheltiere, und zwar ohne ihre Besitzer: was wie ein Scherz klingt, ist ein ernst gemeintes Angebot des japanischen Reisebüros Unagi Travel. Regelmäßig unternehmen Vertreter der Firma mit einem Armvoll Kuscheltiere – je nach Tour maximal 20 oder 30 Zentimetern groß und bis 250 Gramm schwer – Tagesausflüge oder gar mehrtägige Reisen, inklusive Besuchen in Restaurants und heißen Quellen. Alles, was die Ausflügler aus Frottee und Plüsch erleben, wird mit der Kamera dokumentiert und im Internet in sozialen Netzwerken veröffentlicht – so wie es viele „normale“ Reisende eben auch gerne tun.

Sicher hätten sich die Plüschtierbesitzer selbst gerne einen Tag lang in Yokohama amüsiert. Doch die meisten nehmen ihre Arbeit – und ihre Vorgesetzten – sehr ernst und verbringen daher viel Zeit im Büro. Regelmäßig landen Japaner in den weltweiten Statistiken mit der höchsten Anzahl an Arbeitsstunden pro Jahr auf den vorderen Rängen. Die deutsche Denkweise, dass jeder einmal Kollegen vertritt, die im Urlaub sind, und dafür selbst auch guten Gewissens Urlaub machen kann, ist in Japan nicht verbreitet. Urlaub zu nehmen bedeutet für viele, den Kollegen inakzeptabel viel Mehrarbeit aufzubürden.

Kurzreisen im Schnelldurchlauf

Viele Angestellte trauen sich daher kaum mehr als zwei, drei Tage am Stück frei zu nehmen. Statistiken zufolge lassen Japaner mehr als die Hälfte ihres bezahlten Urlaubs verfallen. Dabei haben sie laut Vertrag genügend freie Tage, die meisten etwa 15 bis 20 pro Jahr oder mehr. Doch viele sparen sie für den Fall auf, dass sie einmal länger krank sind, oder lassen sie verfallen.

Mangels Freizeit komprimieren Japaner häufig viel Reisen in knapper Zeit. Kurzreisen im Schnelldurchlauf und in der Gruppe sind beliebt: Raus aus dem Bus, Fotos schießen, rein in den Bus und zum nächsten Stopp. Schnell ein paar lokale Spezialitäten essen, Mitbringsel einkaufen, wieder in den Bus.

Die Kosten für die Kuscheltier-Reisen sind bescheiden

Wer nicht einmal dafür Zeit hat, der kann dank Unagi Travel wenigstens einen Stellvertreter auf Reisen schicken. Die Besitzer der Plüschhasen und Steiff-Bären erhoffen sich davon, dass sie die Urlaubsschnappschüsse von ihren Liebsten im gleichförmigen Arbeitsalltag wenigstens ein bisschen auf andere Gedanken bringen.

Die Kosten sind überschaubar: Schon für 35 Dollar (etwa 26 Euro) sind Tagesausflüge zu bekommen, zum Beispiel für die „Mystery Tour“ zu einem unbekannten Ziel in Tokio. Wer ein wenig mehr Planung schätzt und gerne bekannte Orte besucht, sollte seinem Tierchen die „TokioTour“ gönnen. Für 45 Dollar (34 Euro) kann es dann durch das historische Asakusa-Viertel schlendern, am Meiji Jingu-Schrein beten oder einen Blick vom 333 Meter hohen Tokyo Tower werfen.

Auch Sonderwünsche werden erfüllt

Dank der englischsprachigen Website von Unagi Travel treffen nicht nur aus Japan, sondern gleich aus der ganzen Welt reiselustige Plüschtiere säuberlich verpackt dort ein. Unlängst waren zwei Australier zu Besuch. Sie wurden gleich auf Facebook vorgestellt: „Jimmy ist ein sehr abenteuerlustiger Bär. Er erblickte 1993 das Licht der Welt, aber lügt häufig, wenn er gefragt wird, wie alt er ist.“ Sein Kumpel Ced sei ein wenig schüchtern. Für die Reiseagentur bedeutet er ein wenig mehr Organisationsaufwand, denn Ced sei Vegetarier. Aber auch solche Sonderwünsche erfüllt Unagi Travel gerne.

Der Reiseanbieter versichert, gut auf die Kuscheltiere aufzupassen. Deswegen sind auch nur zehn Teilnehmer pro Reise erlaubt. Auch in Sachen Reinlichkeit gibt der Veranstalter sein Bestes: „Wir versprechen, wir werden die Stofftiere niemals direkt auf den Boden setzen.“ Sollte dennoch einmal etwas schief gehen, gibt es eine Art Versicherung: „Wir werden darauf acht geben, dass Ihre Stofftiere nicht verletzt oder gekidnappt werden. Sollte dennoch unglücklicherweise ein Verlustfall eintreten, kompensieren wir Sie mit bis zu 100 Dollar.“

Inzwischen haben das pinkfarbene Schaf und seine Reisegesellen ihren aufregenden Yokohama-Tag gut und sicher überstanden. Bevor es zurück nach Tokio geht, genießen sie die romantische Stimmung am Hafen, schauen die leuchtende Silhouette der Stadt im Abendlicht an und staunen über einen seltenen Anblick im Sommer: Japans Wahrzeichen, der Bergkegel des Mount Fuji, erhebt sich hinter den Hochhäusern. Wer dachte, das wäre das Highlight der Tour gewesen, irrt. Glücklich posten die fünf später auf Twitter, umringt von anderen Kuscheltieren, die ihre Pfoten und Tatzen auf ihren Schultern haben: „Danke für die Massage!“