Für viele Fans ist er der Mann, der den Tod besiegt hat. In den Radsport-Olymp ist er aufgestiegen, hat immer gekämpft und viel erreicht. Nun gibt Lance Armstrong zum ersten Mal auf – noch bevor der Prozess beginnt.

New York - Viele Jahre hatte es gedauert, doch nun schien alles dafür angerichtet, dass endlich die Wahrheit zu Tage tritt. Endlich, so durfte man hoffen, würde man alles über den womöglich größten Sportbetrug der Geschichte erfahren. Bereits zum zweiten Mal hatte zu Beginn dieser Woche der texanische Richter Sam Sparks Lance Armstrongs Beschwerde gegen die amerikanische Antidopingagentur USADA niedergeschlagen. Nun stand einem öffentlichen Prozess gegen den siebenfachen Tour-de-France-Sieger, bei dem zehn seiner ehemaligen Mannschaftskameraden aussagen wollten, nichts mehr im Weg. Doch Armstrong gönnte seinen Skeptikern und Kritikern dieses Vergnügen nicht. Am Donnerstagabend ließ er – für ihn untypisch – verlauten, dass er den Kampf aufgibt, bevor er begonnen hat. „Genug ist genug“, schrieb Armstrong in seinem Statement. „Ich weigere mich, an einem Verfahren teilzunehmen, das einseitig und unfair ist.“

 


Armstrong kann bei einem Verfahren, bei dem in allen Details seine Dopingvergangenheit breitgetreten wird, nur verlieren. Sein Rückzug hingegen schadet seinem Image und seinen Geschäftsinteressen nur minimal. Die US-Antidoping- agentur kann zu diesem Zeitpunkt zwar eine lebenslange Sperre gegen ihn aussprechen, aber da Armstrong seine Radsportkarriere vor zwei Jahren beendet hat, ist das für ihn belanglos. Ob der 40-Jährige auch seine Tour-Titel verliert, ist fraglich. Die USADA hat zwar eine solche Empfehlung ausgesprochen. Die Entscheidung liegt aber beim Radsportverband UCI. Dass er die USADA nicht ernst nimmt, machte Armstrong in seiner Mitteilung vom Donnerstag klar. Ohnehin würde sich die Frage stellen, was denn in diese Listen eingetragen werden soll. Die Politik des Radsportverbandes war in dieser Hinsicht bisher uneinheitlich. Bjarne Riis durfte trotz seines Geständnisses seinen Titel von 1996 behalten. Floyd Landis und Alberto Contador hingegen mussten ihre Siege abgeben.

Armstrong will sich ganz auf die Arbeit für seine Krebsstiftung konzentrieren, die er „begonnen hat, bevor ich auch nur einen Tour-Titel gewann.“ Die Stiftung, von der, wie jüngst ein Dossier im Magazin „Outside“ dokumentierte, Armstrong auch persönlich massiv profitiert, wird wohl auch der Hauptgrund für seinen Rückzug gewesen sein. Ihr Erfolg hängt von Armstrongs Reputation ab und die hätte mit einiger Gewissheit durch einen Schauprozess schweren Schaden genommen.

Durch seinen Rückzug kann Armstrong hingegen elegant retten, was von seiner Aura noch übrig ist. „Es gibt die, die an ihn glauben, und die, die eben nicht an ihn glauben“, schreibt Chefredakteur Billy Strickland in der jüngsten Ausgabe des Magazins „Bicycling“. Und das bleibt nun auch so. Entweder man ist Lance-Fan. Oder man ist es nicht. Strickland, der Armstrong seine ganze Karriere über eng verbunden gewesen ist, ist seit 2011 überzeugt, dass der Radstar gedopt hat. Und trotzdem beharrt er bis heute darauf, dass „Armstrong der größte Tour-de-France-Champion meiner Ära war“ – ein talentierter Radfahrer mit einer wahnsinnigen Konzentrationsfähigkeit und genetischen Geschenken, die schon in seiner Jugend deutlich zu Tage traten.

Abgestürzt aus dem Sport-Olymp

Er wird 1993 mit 21 Jahren der jüngste Straßenweltmeister. Im Oktober 1996 wird bei ihm fortgeschrittener Hodenkrebs diagnostiziert. Metastasen befallen andere Körperteile. Armstrong besiegt nicht nur den Krebs, sondern wählt auch eine Chemotherapie aus, die seinen Körper am wenigsten von allen beschädigt. Er will Rennen fahren. 1999 gewinnt er die erste Tour. Es folgen sechs weitere Siege in einer fast außerirdischen Manier: Kein Unfall kann ihn aufhalten, er wird nie krank im Juli, er macht keine Fehler.

Armstrong spaltet auch die Sportgemeinde in den USA. Was ihn für viele in unangreifbare Höhen befördert hat, ist sein vom Erfolg gekrönter Siegeswille. Das Magazin „Forbes“ beschreibt ihn als „einen säkularen Jesus“. Sein Leiden und seine ultimativen Triumphe gäben allen Hoffnung. „Wir wollen nicht hören, das Armstrong betrogen hat, um zu gewinnen. Millionen von uns haben zu viel in Lance Armstrong investiert, um jetzt eines Besseren belehrt zu werden, obwohl die „statistische Wahrscheinlichkeit“ sage, dass er es getan habe.

Die Macher des Sportlexikons „The Bleacher Report“ unterstellen der USADA Nazipropaganda-Methoden, wohingegen andere Medien wie die „New York Times“ oder „USA Today“ auf die uneingeschränkte Seriosität der amerikanischen Drogenbekämpfer verweisen. Der Fachmann und Ex-Fan Billy Strickland schreibt in einer sehr persönlichen Kolumne: „Angesichts der Erkenntnis, dass Lance betrogen hat, möchte ich – ein 46 Jahre alter Mann – weinen. Können Sie sich das vorstellen?“