Die ersten verfolgten Wissenschaftler haben im Südwesten schon Unterschlupf gefunden. Jetzt steht das formelle Aufnahmeverfahren für das Unterstützungsprogramm an. Gleichzeitig unterstreicht die Wissenschaftsministerin die Bedeutung Europas für die Hochschulen des Landes.

Stuttgart - Angesichts der neuen Repressalien und Konflikte weltweit ist der Bedarf an Unterstützung für verfolgte Wissenschaftler sehr groß“, sagt Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) mit Blick auf den neuen Fonds, mit dem das Land verfolgte Wissenschaftler unterstützen will. Eine Million Euro stellt die Baden-Württemberg Stiftung zusammen mit der Max Jarecki Stiftung des Ehrensenators der Uni Heidelberg, Henry Jarecki, zur Verfügung und macht Baden-Württemberg zum Vorreiter unter den Bundesländern.

 

In diesen Tagen wird entschieden

Drei Wissenschaftler aus dem Iran und aus Syrien, denen die Einreise in die USA verweigert wurde, kamen dank des Programms bereits an den Unis Stuttgart, Tübingen und Heidelberg unter. Förmlich wird in diesen Tagen über die ersten Stipendien aus dem Fonds entschieden. Der Auswahlkommission liegen zehn Fälle zur Entscheidung vor. Zahlreiche türkische Wissenschaftler hätten Interesse bekundet, erklärt die Wissenschaftsministerin auf eine Anfrage der Grünenfraktion. Noch seien die Förderrichtlinien nicht endgültig festgelegt, doch mit 45 000 bis 48 000 Euro Unterstützung könne ein verfolgter Wissenschaftler wohl rechnen.

Baden-Württemberg wolle mit dem Programm „für ein bis zwei Jahre Aufenthalte als Gastwissenschaftler ermöglichen“. Das Programm sei vernetzt mit der vom Bund finanzierten Phillip-Schwartz-Initiative (PSI). Mit dem Fonds wolle das Land „ein klares Zeichen dafür setzen, dass in Europa die Wissenschaft frei ist und dass sie kritisch sein darf, ja sein muss“, sagte Bauer dieser Zeitung. Sie wird beim March for Science am Samstag in Heidelberg für die Freiheit der Wissenschaft sprechen.

Fonds eventuell ausbauen

„Mit dem Fonds setzen wir ein klares Zeichen für eine freie Wissenschaft“, lobt Andreas Schwarz, der Chef der Landtagsgrünen. Angesichts der Entwicklungen in den USA, der Türkei und auch in Ungarn sei diese Unterstützung dringend notwendig. Es sei zu überlegen, ob der Fonds ausgebaut werden müsse. Schwarz hält unterstützende Maßnahmen auch im länderübergreifenden Austausch für möglich, etwa mit Kulturveranstaltungen.

Europa als Drittmittelgeber für Baden-Württembergs Hochschulen

Doch sehen die Grünen im europäischen Austausch keine Einbahnstraße. „Baden-Württemberg profitiert enorm vom wissenschaftlichen Austausch in Europa“, betont Schwarz. Sein Kollege Manfred Kern, der kulturpolitische Sprecher der Fraktion, bilanziert mit Blick auf die Finanzen: „Europäische Förderprogramme sind für die Hochschulen Baden-Württembergs längst zu einem wichtigen Drittmittelgeber geworden.“

1,56 Milliarden Euro flossen über das 7. Forschungsrahmenprogramm zwischen 2007 und 2013 in den Südwesten. Davon ging 634 Millionen an die Hochschulen und fast 500 Millionen an Forschungseinrichtungen. Unternehmen wurden mit 412 Millionen Euro unterstützt. Das erklärt das Wissenschaftsministerium auf eine Anfrage der Grünen.

Aus dem seit 2014 laufenden EU-Programm Horizont 2020 kamen bis September 2016 knapp 547 Millionen Euro nach Baden-Württemberg. Das entspricht 18 Prozent der Summe, die an Deutschland geht. Die grundlagenorientierte Spitzenforschung im Land wird von der EU seit 2013 mit 182 Millionen Euro gefördert. 101 Wissenschaftler erhalten fünf Jahre lang Zuschüsse.

Brexit kann Wissenschaftsstandort schwächen

Der Brexit jedoch wird nach Einschätzung von Wissenschaftsministerin Bauer „den Wissenschaftsstandort Europa kurz- und mittelfristig schwächen“. Deutschland und Großbritannien sind dem Ministerium zufolge die Staaten, die am meisten vom EU-Forschungsprogramm Horizont 2020 profitieren. Deutschland habe drei Milliarden Euro eingeworben, Großbritannien 2,6 Milliarden. An den meisten größeren Forschungsverbünden seien britische Partner beteiligt. Es sei zu erwarten, dass das Vereinigte Königreich seine Forschungszusammenarbeit von der EU weg verlagere.