Lange und hartnäckig haben sie verhandelt. Jetzt haben sich das Land und die Kommunen auf eine Lösung geeinigt, wie die Ganztagsschule in Baden-Württemberg vorangebracht werden kann.

Stuttgart - Am Ende ergingen sich die Verhandlungspartner in Lobeshymnen auf sich selbst. Eine „historische Übereinkunft“ und einen „guten Tag für die Familien“ nannte Finanzminister Nils Schmid (SPD) das Konzept zum Ausbau des Ganztagsbetriebs an Grundschulen, das das Land und die Vertreter der kommunalen Spitzenverbände präsentierten.

 

Von einem Meilenstein und einem fairen Kompromiss, sprach Barbara Bosch, die Präsidentin des baden-württembergischen Städtetags. Da wirkte Roger Kehle, der Präsident des Gemeindetages vergleichsweise unterkühlt. „Ein vorzeigbares Ergebnis“ hätten das Land und die kommunalen Landesverbände nach „hartem, langwierigen und zähem Ringen“ zustande gebracht, findet Kehle.

Verständigt haben sich die Partner darauf, dass der Ganztagsbetrieb an Grundschulen ausgebaut werden soll. Ziel ist eine gesicherte Kinderbetreuung vom Kleinkindalter über den Kindergarten bis zur Grundschule. Auf den 2400 Grundschulen und auf den Grundstufen der Förderschulen liegt zunächst das Hauptaugenmerk. Später sollen die weiterführenden Schulen folgen. Es wird freiwillige und verbindliche Angebote geben. Die Kommunen legen größten Wert darauf, dass in den Gemeinden entschieden wird, ob und welche Form des Ganztagsbetriebs die örtliche Grundschule anbieten soll, betonte Roger Kehle.

Augenmerk auf den Grundschulen

Dem Kultusminister Andreas Stoch (SPD) geht es vor allem um die Qualität und das pädagogische Konzept. „Gute Ganztagsangebote sorgen für mehr Bildungsgerechtigkeit“, betonte Stoch. Dabei sei es das beste, wenn ganze Klassen verbindlich am Ganztagsbetrieb teilnähmen. Das erlaubt die durchgängige Rhythmisierung des Unterrichts. Damit ist die Verzahnung aus Unterricht, individueller Förderung und beispielsweise Bewegungsangeboten gemeint, die sich gleichmäßig über den ganzen Tag erstreckt.

Dennoch sollen kleine Grundschulen nicht außen vor bleiben. Ganztagsbetrieb kann anbieten, wer eine Gruppe von 25 interessierten Schülern auch über Jahrgangsstufen hinweg aufbieten kann. „Die Marge von 25 Schülern wurde im politischen Raum durchaus kontrovers diskutiert“, räumte Stoch ein. Hätte man nur Klassen zugelassen, wären kleinere Standorte von vorneherein außen vor gewesen. „Wir wollten nicht die Kleinst-Grundschulen auf kaltem Wege plattmachen“, betonte Stoch. Vielmehr halte die Regierung auch beim Ganztagsangebot an der Devise „kurze Beine, kurze Wege“ fest. Für die Ganztagspädagogik gelte, „so viel Rhythmisierung wie möglich“.

Der Streit ging vor allem um die Finanzierung. Für die Kommunen ist entscheidend, dass das Land zuständig ist für den Ganztagsbetrieb. Es wird nicht mehr zwischen offener (also freiwilliger) und gebundener (also verpflichtender) Form unterschieden. Das Land unterstützt in Zukunft den Ganztagsbetrieb mit Lehrerstunden, abhängig von der Dauer des Angebots. Die Schulen bekommen bis zu vier Lehrerwochenstunden mehr als bisher. Die Kommunen können sich bis zur Hälfte der ihnen zustehenden Stunden auszahlen lassen und das Geld für Angebote aus Vereinen und Verbänden verwenden.

Umstrittene Mittagspause

Heiß umstritten war die Betreuung während der Mittagspause. Der Kompromiss besagt nun, dass die Kommunen für die Beaufsichtigung der Schüler während des Essens zuständig sind. Außerhalb der Mensa übernehmen Lehrer die Pausenaufsicht. Die Kommunen beteiligen sich aber mit bis zu zehn Millionen Euro im Jahr an den Kosten.

Besonders wichtig war den Kommunen auch, dass bestehende Angebote wie Schülerhorte Bestandsschutz genießen. Nur so könne Eltern eine echte Wahlmöglichkeit eröffnet werden, sagte Roger Kehle. Die Verhandler gehen davon aus, dass die Nachfrage über das Land verteilt bei 50 Prozent liegen wird. In großen Städten ist sie erfahrungsgemäß höher als in ländlichen Gegenden. Das Schulgesetz soll zum kommenden Schuljahr geändert werden. Die Regierung erwartet, dass im Jahr 2023 etwa 70 Prozent der Grundschulen Ganztagsschulen sein werden. Bisher sind es 7,8 Prozent.Im Endausbau rechnet das Land mit jährlichen Zusatzkosten von 147 Millionen für den Ganztagsbetrieb an Grundschulen. Das entspricht rund 1920 Lehrerstellen.

Nachverhandelt wird die Betreuung während der Ferien. Das Land hat sich zur Freude des Landkreistags bereit erklärt, die Zuschüsse für die Schülerbeförderung zu erhöhen, die an die veränderten Schulöffnungszeiten angepasst werden müssen.

Opposition begrüßt Einigung

Die Einigung wird auch von der Opposition begrüßt. Der CDU-Landesvorsitzende Thomas Strobl erklärte, der Ausbau der Ganztagsschule sei für viele Eltern ein entscheidender Punkt, den die Landesregierung zu lange vernachlässigt habe. Er hält sich zugute, die CDU-Opposition habe „erheblichen Druck“ auf die Regierung ausgeübt. Strobl vermisst eine verlässliche Finanzierung. Finanzminister Schmid hatte erklärt, über die Finanzierung werde bei den jeweiligen Haushaltsberatungen entschieden. Er rechnet auch mit Bundesmitteln. Auf den Bund zu zeigen, greift für die CDU zu kurz. Die Landtags-CDU pocht darauf, dass kleine Schulen auf dem Land nicht vernachlässigt werden.

Die FDP rückt das Elternwahlrecht in den Vordergrund. Sie argwöhnt, die grün-rote Koalition wolle die verpflichtende Grundschule für alle. Die Industrie- und Handelskammern (IHK) loben, eine einheitliche Regelung des Ganztagsbetriebs sei überfällig gewesen. Die Angebote seien aber nicht ausreichend, da sie nur drei oder vier Tage umfassen. Zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei ein Angebot von fünf Tagen in der Woche und während der Ferien notwendig. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hält aus pädagogischen Gründen nur Ganztagsschulen für sinnvoll, in den alle Kinder einer Klasse am Angebot teilnehmen.