Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Döring aber bekam es dick ab. Gerechnet hatte er wohl mit Kritik an seinem Vorgehen: Erst wochenlang alle Ambitionen zu dementieren und dann am Vortag seine Kandidatur zu erklären – da musste sich die Partei überrumpelt fühlen. Prompt setzte es verbale Prügel: „ein Quasikomplott“ sei sein Comebackversuch, „putschartig“ habe er ihn eingefädelt, „wie Kai aus der Kiste“ tauche er auf und stürze die FDP ins Chaos. Sämtliche Absprachen für die ersten Listenplätze, die die Strippenzieher der Bezirksverbände in den zurückliegenden Wochen mühsam ausgehandelt hatten, drohten zunichte zu werden.

 

Nicht erwartet hatte Döring hingegen, in welchem Maße alte Rechnungen beglichen würden. Gewiss, er war zu seinen aktiven Zeiten nie zimperlich gewesen, hatte Parteifreunde trickreich gegeneinander ausgespielt und seine Gunst ebenso schnell entzogen wie gewährt. Aber zählte das noch? Es zählte wohl, vor allem bei den Älteren, die die Aussprache dominierten. Den Anfang machte der Ehemann der früheren Justizministerin Corinna Werwigk-Hertneck. Er müsse die Delegierten über „Solidität, Redlichkeit, Anstand“ des Kandidaten aufklären, gemeint war: deren Fehlen. Döring sei es gewesen, der seine Frau bei der Presse „schlechtgemacht“ habe, beklagte Matthias Werwigk. Der einstige Wirtschaftsminister habe Unternehmen, die eine Auszeichnung des Landes erhalten hatten, fordernd um Geld für die FDP angegangen, er stecke auch hinter der „unglaublichen Intrige“ um den Sturz der Justizchefin.

Verbale Frontalangriffe im Saal

Da erschallten die ersten „Aufhören“-Rufe, doch es ging munter weiter. Auch der Ex-Abgeordnete Wolfgang Weng wusste zwei Beispiele beizusteuern, wie übel Döring einst verdienten Mitstreitern mitgespielt habe. Ob er sich geändert habe? „Ich glaube das nicht.“ Der einstige Landeschef Roland Kohn sprach seinen Nachfolger direkt an: „Wenn es etwas gibt, was dir abgeht, dann ist es Teamfähigkeit.“ Ins gleiche Horn stieß die fränkische Bezirkschefin Ute Öttinger-Griese. Wo habe sich Döring denn in den vergangenen Jahren eingebracht? Gekommen sei er nur, „wenn das Blitzlichtgewitter sicher war“. Allein die frühere Landtagsvizepräsidentin Beate Fauser brach eine Lanze für ihren Förderer: Homburger bemühe sich ja redlich, aber Döring habe es geschafft, liberale Forderungen durchzusetzen, „Punkt für Punkt“. Je länger die Schlammschlacht tobte, desto größer wurde das Grausen im Saal. „Was hier passiert, ist einer liberalen Partei nicht würdig“, schimpfte der Staatssekretär Ernst Burgbacher. Die Stimmung grenze ja „fast an Hass“, befand ein Delegierter fassungslos.

Auch die beiden Hauptpersonen reagierten verstört. „Wer so mit Dreck werfen lässt, muss es nötig haben“, keilte Döring zurück – und nahm den Strippenzieher Weng ins Visier: „Dieser Apotheker aus Gerlingen darf die Partei nicht mehr dominieren.“ Homburger zeigte sich nicht minder „entsetzt, wie die Debatte gelaufen ist“.

Tatsächlich wurde die Ministerkarriere des 49-Jährigen von Negativschlagzeilen begleitet. Das begann damit, dass die FDP mit ihm ein Ressort besetzte, das sie eigentlich abschaffen wollte. Diese Kritik entkräftete Niebel mit einem grundlegenden Umbau des Ministeriums und der Entwicklungshilfeorganisationen, für den ihm heute weithin Respekt gezollt wird. Vom Vorwurf, er habe Parteifreunden reihenweise Posten zugeschanzt, blieb dagegen manches hängen. Einerseits hatte es Niebel mit einem Apparat zu tun, der von der Vorgängerin Heidi Wieczorek-Zeul (SPD) geprägt war und Neuzugänge kritisch beäugte; ständig wurden Personalquerelen an die Medien getragen. Andererseits gab es fragwürdige Stellenvergaben – vor allem die an die frühere Ettlinger Oberbürgermeisterin Gabriela Büssemaker (FDP), die auf wundersame Weise an mehr als hundert Kandidaten vorbeizog. Die Teppichaffäre zählt dagegen eher zu den Stilfragen, die man so oder so bewerten kann – wie auch der Hang des einstigen Fallschirmjägers zu einer Gebirgsjägerkappe, die er zu seinem Markenzeichen machte.

Der Hauptmann der Reserve Niebel und die zuweilen zu Feldwebel-Attitüden neigende Homburger – das war ein eingespieltes Team. Wie abgemacht schlug er sie in Villingen für den ersten Listenplatz vor, er selbst sollte auf Rang zwei antreten. Doch ein zunächst wenig beachteter Nebensatz in der Bewerbungsrede des Homburger-Herausforderers und früheren Landeschefs Walter Döring ließ erahnen, dass es auch anders kommen könnte: „Wenn Dirk hier stehen würde, würde ich hier nicht stehen.“ Sollte heißen: nur weil der von ihm als Wahlkämpfer geschätzte Niebel nicht antrete, müsse er in die Bresche springen.

Homburger und Döring ziehen ihre Bewerbung zurück

Ob Döring das bewusst oder eher unbedacht formuliert hatte – es wurden seine wichtigsten Worte. Genau darauf pochte Homburger, als sie nach der fast zweistündigen Personaldebatte der Partei einen Ausweg wies: beide Kandidaten für Platz eins seien „dermaßen beschädigt“, dass sie die FDP nicht mehr in den Wahlkampf führen könnten. Nach dem Motto „Erst das Land, dann die Partei, dann die Person“ ziehe sie daher ihre Bewerbung zu Gunsten von Niebel zurück. Döring tat das Gleiche, auch wenn es ihm sichtlich schwerfiel und er hinterher auf den Gängen erzählte, er hätte das Duell natürlich gewonnen. Kurz darauf stand Niebel am Rednerpult und gestand: „Sie sehen mich ähnlich überrascht, wie Sie selbst es sind.“ Seine Bewerbungsrede mit Fokus auf die wenig wahlkampfträchtige Entwicklungspolitik spulte er wie vorbereitet ab, dann kürten ihn 84 Prozent der Delegierten zum neuen Hoffnungsträger.

Niebel statt Homburger als Nummer eins – das hatten sich etliche Liberale insgeheim ohnehin gewünscht. Möglich wurde es indes erst durch die am Vortag verkündete Kandidatur Dörings, die wie ein Katalysator für die innerparteiliche Debatte wirkte. Vieles, was bisher nur in Hinterzimmern oder hinter vorgehaltener Hand thematisiert wurde, brach da aus den Rednern heraus – mit der Wucht des lange Aufgestauten.

Die Tonlage der Aussprache, rügte Döring später, habe Homburger vorgegeben. Tatsächlich verkniff er sich zunächst persönliche Seitenhiebe auf seine Nachfolgerin, die 2004 den von ihm mit der Umfrageaffäre angerichteten Scherbenhaufen zusammenkehren durfte. Homburger dagegen ging gleich in die Vollen, lästerte über „Selbstdarsteller, Schaumschläger und Windmacher“, die sich zu Lasten der Partei persönlich profilierten. Namen nannte sie keine, doch jeder konnte sich seinen Teil denken. Es klang ganz nach den Attributen „Windmaschine“, „Alleinunterhalter“, mit denen einst ihr Vorgänger bedacht wurde.

Ahnungsvolle Redner mahnten, die Debatte „würdig“ zu führen und fair miteinander umzugehen – doch es gab kein Halten mehr. Homburger wurde vergleichsweise dezent bedeutet, dass man ihrer überdrüssig sei. „Ich kann diese Phrasendrescherei nicht mehr hören“, gestand ein Delegierter, nachdem die Landeschefin das Auditorium minutenlang mit stets gleicher Lautstärke traktiert hatte und mangelnde Originalität mit verbaler Kraftmeierei wettzumachen versuchte – etwa, als sie die Ministerpräsidenten wegen ihres Pokerns im Bundesrat als „Erpresserbande“ titulierte.

Das „Quasi-Komplott“ des Walter Döring

Döring aber bekam es dick ab. Gerechnet hatte er wohl mit Kritik an seinem Vorgehen: Erst wochenlang alle Ambitionen zu dementieren und dann am Vortag seine Kandidatur zu erklären – da musste sich die Partei überrumpelt fühlen. Prompt setzte es verbale Prügel: „ein Quasikomplott“ sei sein Comebackversuch, „putschartig“ habe er ihn eingefädelt, „wie Kai aus der Kiste“ tauche er auf und stürze die FDP ins Chaos. Sämtliche Absprachen für die ersten Listenplätze, die die Strippenzieher der Bezirksverbände in den zurückliegenden Wochen mühsam ausgehandelt hatten, drohten zunichte zu werden.

Nicht erwartet hatte Döring hingegen, in welchem Maße alte Rechnungen beglichen würden. Gewiss, er war zu seinen aktiven Zeiten nie zimperlich gewesen, hatte Parteifreunde trickreich gegeneinander ausgespielt und seine Gunst ebenso schnell entzogen wie gewährt. Aber zählte das noch? Es zählte wohl, vor allem bei den Älteren, die die Aussprache dominierten. Den Anfang machte der Ehemann der früheren Justizministerin Corinna Werwigk-Hertneck. Er müsse die Delegierten über „Solidität, Redlichkeit, Anstand“ des Kandidaten aufklären, gemeint war: deren Fehlen. Döring sei es gewesen, der seine Frau bei der Presse „schlechtgemacht“ habe, beklagte Matthias Werwigk. Der einstige Wirtschaftsminister habe Unternehmen, die eine Auszeichnung des Landes erhalten hatten, fordernd um Geld für die FDP angegangen, er stecke auch hinter der „unglaublichen Intrige“ um den Sturz der Justizchefin.

Verbale Frontalangriffe im Saal

Da erschallten die ersten „Aufhören“-Rufe, doch es ging munter weiter. Auch der Ex-Abgeordnete Wolfgang Weng wusste zwei Beispiele beizusteuern, wie übel Döring einst verdienten Mitstreitern mitgespielt habe. Ob er sich geändert habe? „Ich glaube das nicht.“ Der einstige Landeschef Roland Kohn sprach seinen Nachfolger direkt an: „Wenn es etwas gibt, was dir abgeht, dann ist es Teamfähigkeit.“ Ins gleiche Horn stieß die fränkische Bezirkschefin Ute Öttinger-Griese. Wo habe sich Döring denn in den vergangenen Jahren eingebracht? Gekommen sei er nur, „wenn das Blitzlichtgewitter sicher war“. Allein die frühere Landtagsvizepräsidentin Beate Fauser brach eine Lanze für ihren Förderer: Homburger bemühe sich ja redlich, aber Döring habe es geschafft, liberale Forderungen durchzusetzen, „Punkt für Punkt“. Je länger die Schlammschlacht tobte, desto größer wurde das Grausen im Saal. „Was hier passiert, ist einer liberalen Partei nicht würdig“, schimpfte der Staatssekretär Ernst Burgbacher. Die Stimmung grenze ja „fast an Hass“, befand ein Delegierter fassungslos.

Auch die beiden Hauptpersonen reagierten verstört. „Wer so mit Dreck werfen lässt, muss es nötig haben“, keilte Döring zurück – und nahm den Strippenzieher Weng ins Visier: „Dieser Apotheker aus Gerlingen darf die Partei nicht mehr dominieren.“ Homburger zeigte sich nicht minder „entsetzt, wie die Debatte gelaufen ist“.

Später, als sie mit mageren  knapp 65 Prozent auf Platz zwei gewählt wurde, demonstrierte sie unverdrossen Kampfesmut: „Mich haut nichts so schnell um.“ Doch am Rande des Treffens wurde längst erörtert, ob man gerade den Anfang vom Ende ihrer politischen Karriere erlebt habe. Erst ihr Zittersieg bei der Wiederwahl 2011, dann der Rückzug als Vorsitzende der Bundestagsfraktion, nun das Debakel von Villingen – was wolle sich Homburger noch alles antun? Dirk Niebel beteuerte zwar umgehend, für den Landesvorsitz bedeute sein Aufstieg „überhaupt nichts“. Doch Homburger wollte die Frage, ob sie im Sommer 2013 erneut kandidiere, zunächst nicht beantworten. Ihre nachvollziehbare Begründung: „nicht an einem solchen Tag“.