Eine Flut von Anträgen der Verteidigung und des Angeklagten selbst verlängert einen Prozess um eine Serie von Raubüberfällen. Ursprünglich war das Urteil nach neun Verhandlungstagen geplant. Inzwischen sind 35 angesetzt.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Holzgerlingen - Diese beiden werden keine Freunde. Links unten sitzt, offenkundig erkältet, der Verteidiger Moritz Schmitt. Oben in der Mitte ist die Richterin Manuela Haußmann unübersehbar verschnupft – im übertragenen Sinn. Sie verbirgt ihr Gesicht in den Händen, als wolle sie nicht sehen, was im Saal geschieht. Hören muss sie es. Die 18. Große Strafkammer des Landgerichts Stuttgart arbeitet pflichtgemäß die Anträge der Verteidigung ab. Und davon gibt es reichlich. Gleich wird Schmitt Einspruch dagegen erheben, dass Haußmann das Wort „male“ selbst vom Englischen ins Deutsche übersetzt. Damit sei eine Dolmetscherin zu beauftragen.

 

Die Überfälle wurden schon 2002 und 2003 begangen

Am 21. Juli hat dieser Prozess wegen einer Serie von Raubüberfällen, die eine Bande in den Jahren 2002 und 2003 im Kreis Böblingen begangen haben soll, begonnen. Binnen neun Verhandlungstagen, dies war der ursprüngliche Plan, sollte geklärt werden, ob Juozas P. beteiligt oder gar der Kopf der Bande war. Die Beweisaufnahme ist umfangreich. Ein Zeuge reiste eigens mit dem Auto aus Lettland an, um auszusagen, den Mann auf der Anklagebank nie gesehen zu haben. Die Bundesrepublik Deutschland hatte ihm freies Geleit zugesichert – sonst hätte er womöglich ebenfalls verhaftet werden müssen. Etliche andere Straftaten der Bande sind längst abgeurteilt, sei es in Deutschland oder im Ausland. Der Prozess gegen P. in Stuttgart begann erst 2016, weil der Angeklagte die vergangenen Jahre in einem polnischen Gefängnis verbracht hat.

Den Beginn dieses Prozesstages, des fünfzehnten, kündigt ein leises Rattern an. Schmitt zieht auf einem Rollgestell seine Akten hinter sich über den Gang. Der Verteidiger hat sie in einem Aluminiumkoffer der Größe einer Bierkiste verstaut. Er reist stets frühmorgens aus Mainz an. Heute kommt er mit einer halben Stunde Verspätung an. Seinen Antrag, der Staat möge die Kosten für Hotelübernachtungen übernehmen, hat das Gericht abgelehnt.

„Die Verhandlung wird fortgesetzt, bitte setzen Sie sich“, sagt die Richterin Haußmann. Nach dem Austausch einiger Bissigkeiten über ordnungsgemäße Büroführung und einen fehlenden Eingangsstempel zwischen ihr und dem Verteidiger ist die Verhandlung wenige Minuten später wieder unterbrochen, bis 14 Uhr. Bis dahin soll ein Dokument übersetzt werde. P. ist Litauer.

Zu den ursprünglich neun Verhandlungstagen kamen sechs weitere, aber auch 15 scheinen zu wenig zu sein. Weitere 20 Termine sind angesetzt. Inzwischen soll das Urteil im Februar fallen, nach dann acht Monaten Verhandlung. Oder früher: Die zusätzlichen Prozesstage „sind im Hinblick auf die Anträge der Verteidigung terminiert“, sagt Elena Gihr, die Sprecherin des Landgerichts. „Da das Beweisprogramm der Kammer abgearbeitet ist, wird die Verfahrensdauer maßgeblich von der Anzahl der weiteren Anträge abhängen.“

Der Angeklagte erklärt die Beweise gegen ihn für gefälscht

Schmitt hat einen Zeugen angekündigt, aber der ist nicht erschienen. Statt einer Aussage hört Haußmann weitere Anträge. Der Verteidiger möchte zwei Pressesprecherinnen vorladen, damit sie bestätigen, dass über den Prozess tendenziös berichtet wird. Außerdem möge ein Gutachter feststellen, ob dem Angeklagten auch in seiner Heimat Strafverfolgung droht. Grundsätzlich fordert Schmitt, das Verfahren zu unterbrechen, bis bewiesen oder entkräftet ist, dass sich Mitglieder des Gerichts strafbar gemacht haben. Seit Prozessbeginn wirft der Angeklagte der Staatsanwaltschaft vor, die Vorwürfe gegen ihn seien erlogen, die Beweise gefälscht, dem Gericht, das Verfahren werde unfair geführt. Auf dass der sich dieser Meinung anschließe, hat P. dem Justizminister geschrieben.

Auch der Angeklagte hat Anträge vorbereitet. Zunächst legt er eine Passkopie vor, „um zu beweisen, dass ich ich bin und immer ich war“, wie eine Dolmetscherin übersetzt. Er beklagt, dass die Kammer ihm verweigert, mit Hilfe der Dolmetscherin die Akten zu sichten. Dies sei nicht Sache des Gerichts, sagt Haußmann, sondern der Verteidigung. „Ich stelle mit Erstaunen fest, dass Sie Rechtsberatung ausüben“, sagt Schmitt. Alle Anträge werden abgelehnt.

Aber jeder muss abgearbeitet werden. So fordert es die Strafprozessordnung. Das Gericht hat eine Frist gesetzt, bis zu der alle Anträge eingereicht werden müssen, aber diese Waffe gleicht einem Pappschwert. Auch nach dem Ablauf darf die Verteidigung weiter verhandeln und beantragen. „Die Folge ist nur, dass man danach eine gewisse Indizwirkung hat, dass unter Umständen eine Verschleppungsabsicht anzunehmen ist“, sagt Gihr. Bei bewiesener Prozessverschleppung kann das Gericht die Beweisaufnahme beenden. Die Hürden dafür sind allerdings hoch. Dass das Verfahren so lange währt, bis die Taten verjährt sind, ist laut Gihr ausgeschlossen.