Das Gericht geht davon aus, dass der Angeklagte den Pächter eines Beherbungsbetriebs im Raum Backnang einschüchtern, aber nicht hatte töten wollen.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Stuttgart - Nach sechs Monaten Untersuchungshaft kann der Angeklagte das Stuttgarter Landgericht als freier Mann verlassen. Die 9. Schwurgerichtskammer unter Vorsitz von Richter Wolfgang Hahn hat den 40-Jährigen zwar zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, diese jedoch auf Bewährung ausgesetzt. Entgegen der Anklage ist das Gericht nicht der Meinung, dass der vor elf Jahren aus Afghanistan nach Deutschland geflüchtete Mann die Absicht hatte, seinen zehn Jahre jüngeren Landsmann in einem Hotel in einer kleinen Gemeinde im Raum Backnang zu töten.

 

Tat vor Gericht eingeräumt

Dass er am 24. Juli des vergangenen Jahres einen Schuss aus einem Schweizer Militärrevolver abgefeuert hatte, stand außer Frage, das hatte der Angeklagte, der zur Sache vor Gericht keine Aussage machte, zu Prozessbeginn in einer von seinem Anwalt verlesenen Erklärung eingeräumt. Während die Staatsanwaltschaft aber davon ausging, dass der 40-Jährige versucht hatte, in dem Hotel durch eine verschlossene Türe hindurch seinen früheren Freund und Geschäftspartner zu treffen, behauptete der Angeklagte in seiner Erklärung, auf eine Überwachungskamera über der Türe gezielt zu haben.

Auch wenn dies dem Gericht nicht einleuchtete – Richter Hahn: „Dann hätten Sie ein zweites Mal geschossen, nachdem sie die Kamera verfehlt hatten“ – so hielt es auch eine Tötungsabsicht für unwahrscheinlich. Der Angeklagte habe bewusst und gezielt vorbei geschossen. Die Kugel war in 2,17 Metern Höhe links neben der Türe eingeschlagen – deutlich an dem nur 1,64 Meter großen Opfer vorbei. Dass das Geschoss nur durch den Rückstoß der Waffe abgelenkt worden sei, wie der Staatsanwalt in seinem Plädoyer gemutmaßt hatte, sei auszuschließen. Und: „Wenn Sie ihn hätten töten wollen, wären Sie ganz anders vorgegangen“, betonte der Richter in seiner Urteilsbegründung.

Das Gericht sei vielmehr davon überzeugt, dass der Angeklagte den 30-Jährigen, den er vor sieben Jahren in einer Asylbewerberunterkunft in Kirchheim/Teck (Kreis Esslingen) kennengelernt und mit dem er gemeinsam ein Jahr lang eine Pension im Landkreis Tuttlingen betrieben hatte, habe einschüchtern wollen. Als dieser in einen Büroraum hinter dem Hoteltresen flüchtete, habe der 40-Jährige zur Bekräftigung noch einen Schuss abgegeben. Dies sei als Bedrohung in Tateinheit mit dem unerlaubten Führen einer Schusswaffe, nicht aber als ein versuchter Totschlag zu bestrafen.

Nicht klären habe das Gericht indes können, warum genau es zu dem offenkundigen Streit zwischen den früheren Freunden gekommen sei. Sowohl der Angeklagte als auch das Opfer hatten behauptet, der jeweils andere schulde ihnen eine nicht unerhebliche Menge an Geld. Der Angeklagte deutete in seiner Erklärung zudem an, bei einer mutmaßlichen Beteiligung an der Pacht des Hotels im Raum Backnang betrogen worden zu sein.

Undurchsichtige Geschäfte

Wer offene Forderungen gegen wen gehabt habe, wie die Geschäfte und Kosten abgerechnet wurden, habe die Beweisaufnahme nicht aufdecken können, räumte der Vorsitzende Richter ein. Auch das Opfer habe sich bei seinen diesbezüglichen Aussagen im Zeugenstand in Widersprüche verstrickt, Dokumente, die Aufschluss über Verbindlichkeiten geben könnten, gebe es nicht.

Es dränge sich der Eindruck auf, dass beide den Überblick über ihre Geschäfte verloren hätten, die möglicherweise auch windigen Charakter gehabt hätten. Ob der Angeklagte gehandelt habe, um Forderungen gegen ihn abzuwenden oder um eigenen Nachdruck zu verleihen, sei letztlich egal, so der Richter. „Er hat ihn einschüchtern, aber nicht töten wollen.“