Ernsthafte Alternative zum Auto oder nur eine schöne Nebensache? Kein anderes Thema steht mehr im Verdacht, grüne Ideologie zu transportieren, als der Radverkehr.

Stuttgart - Beim Stichwort Fahrrad verfällt der baden-württembergische Landtag gern in kollektive Heiterkeit. Als der Grünen-Politiker Hermann Katzenstein jetzt die Vorteile des Radverkehrs bilanzierte, war dies jedenfalls von fraktionsübergreifendem Gefeixe begleitet – als hätten die Volksvertreter unentwegt den Gassenhauer „Ja, mir san mit’m Radl da“ auf den Lippen. Selbst Verkehrsminister Winfried Hermann zitierte zum Schluss seines Redebeitrags einen „berühmten Mobilitätsphilosophen“ (und meinte damit sich selbst) mit den Worten: „Fahr Rad, und Du bleibst jung.“ Ein Thema wie jedes Andere ist Radverkehrspolitik jedenfalls nicht.

 

Dabei hat das Fahrrad selbst im Autoland Baden-Württemberg in den letzten Jahren deutlich mehr politisches Gewicht erhalten. Und Geld fließt auch: 12,5 Millionen Euro investiere das Land in diesem Jahr allein für den Radwegeausbau an Landesstraßen, sagt der CDU-Abgeordnete Albrecht Schütte und zählte noch weitere Fördertöpfe auf – um augenzwinkernd anzumerken: „Selbst an meinem Fahrrad hängt jetzt ein Helm.“ Sobald er auf der Kreisstraße fahre, ziehe er den auch auf.

„Primitive Naturreligion“

In dem entspannten Duktus schwang jedoch die unterschwellige Mahnung mit, den Radverkehr dort zu belassen, wo er nach Meinung vieler hingehört: dort, wo er die Autofahrer nicht behindert. „Wir schreiben den Menschen den richtigen Weg nicht vor, gute Verkehrspolitik muss die Wünsche der Menschen aufnehmen“, sagte Schütte. Das Land baue also nur jene Infrastruktur, die zu den Bedürfnissen der Menschen passe, nicht jene, „von der wir glauben, dass sie sie nutzen sollen“.

Diese Sätze waren weniger an die Kollegen der eigenen Fraktion als an die des grünen Koalitionspartners gerichtet. Denn wie kaum ein zweites Thema steht der Radverkehr – und mit ihm der dafür zuständige Minister – im Verdacht, grüne Ideologie zu transportieren. So hält es die Landtags-FDP für „Verschwendung von Steuermitteln“, wie Hermann jetzt mit sogenannten Radschnellwegen umgeht. Dieser hat kürzlich beschlossen, drei solcher breiten und kreuzungsfreien Fahrrad-Highways nicht nur vom Land selbst bauen zu lassen, sondern auch die Kosten des Unterhalts zu übernehmen. „Das ist doch keine Landesaufgabe!“, sagte der Abgeordnete Jürgen Keck. Überhaupt werfen die Liberalen den Grünen „ideologische Überhöhung“ des Radverkehrs vor. Weder seien Radschnellwege eine Landesaufgabe noch das von Hermann vor einiger Zeit für 220 000 Euro in Auftrag gegebene Gutachten über den Nutzen von Fahrradhelmen – das am Ende von Hermann selbst als „nicht lesbar“ verworfen wurde.

Am härtesten erhob der AfD-Abgeordnete Bernd Gögel den Ideologievorwurf, als er den Grünen einen „Kreuzzug“ gegen die Autoindustrie und den Glauben an an ein irdisches Fahrradidyll unterstellte. Dieses Weltbild trage Züge einer „primitiven Naturreligion“. Dass man im Landtag überhaupt über Fahrradverkehr diskutiert, hält der AfD-Mann, der sich selbst als „Autofan“ bezeichnete, für abseitig.

Hermann quittierte dies mit dem Hinweis darauf, dass so gut wie alle Großstädte in der Welt dem Fahrrad einen hohen Stellenwert einräumten. Pendler könne man nur zum Umsteigen bewegen, wenn die Wege unkompliziert zu befahren seien. Solche Radschnellwege sollten aber keineswegs den Ausbau des normalen Radwegenetzes ersetzen. Dass es dort noch erhebliche Lücken gibt, monierte der SPD-Abgeordnete Martin Rivoir. Seiner Ansicht nach wäre es besser gewesen, mit dem Geld für die Schnellwege die Lücken zu stopfen.