Die kleinen Parteien könnten diesmal mitentscheiden, wer Ministerpräsident wird – auch ohne Koalition. Die Linke erhofft sich Rückwind durch die Spitzenkandidatur ihres Bundesvorsitzenden Bernd Riexinger. Die SPD wird unruhig.

Stuttgart - Für den Ausgang der Landtagswahl im kommenden März können die kleinen Parteien eine entscheidende Rolle spielen. Im Fokus steht die AfD, die in den Umfragen in Baden-Württemberg seit einem Jahr zwischen vier und fünf Prozent notiert. Nach dem Abgang des wirtschaftsliberalen Flügels um AfD-Gründer Bernd Lucke erscheint die Partei zwar einerseits geschwächt, andererseits aber homogener und daher auch empfänglicher für ausländerfeindliche Stimmungen.

 

Die AfD bietet sich als Sammelbecken für Protestwähler an – zumal, wenn sich das politische Klima angesichts rasant steigender Flüchtlingszahlen aufheizen sollte. 1992 waren in einer vergleichbaren Situation die rechtsradikalen Republikaner in den Landtag gelangt. Am vorvergangenen Wochenende bestellte die AfD einen neuen Landesvorstand. Der bisherige Landeschef Bernd Kölmel hatte mit Bernd Lucke die Partei verlassen.

Bescheidenes Ergebnis 2011

Weniger beachtet von der Öffentlichkeit hat inzwischen aber auch die Linke die Weichen für die Landtagswahl gestellt. Bundesparteichef Bernd Riexinger tritt neben der Mannheimer Stadträtin Gökay Akbulut als Spitzenkandidat an. Er sucht seine Chance im Wahlkreis Stuttgart IV, in Stuttgart Mitte versucht es die Linke mit dem Stadtrat Hannes Rockenbauch, der als Galionsfigur des Protests gegen Stuttgart 21 firmiert. Die Linke kann die beiden als Zugpferde gut gebrauchen, schließlich kam sie 2011 landesweit auf gerade einmal 2,8 Prozent. Für eine Partei, die im Bundestag die stärkste Oppositionskraft darstellt, ein bescheidenes Ergebnis.

Doch dabei muss es 2016 nicht bleiben. Riexinger weiß auch, warum: Die Polarisierung bei der zurückliegenden Landtagswahl habe den kleinen Parteien geschadet, sagt er. „Viele haben die Grünen gewählt, um Mappus zu verhindern.“ Der Wunsch nach Abwahl des damaligen Ministerpräsidenten Stefan Mappus, Stuttgart 21 sowie die Reaktorkatastrophe von Fukushima habe nicht wenige Sympathisanten der Linken dazu bewogen, in der Wahlkabine für die Grünen zu votieren – aus Sorge, ihre Stimme falle bei einem Scheitern ihrer Präferenzpartei an der Fünfprozenthürde unter den Tisch. „Diese Wähler holen wir zurück“, sagt Riexinger. Und neue sollen hinzukommen.

Feindbild Sozialdemokratie

Denn der von Grün-Rot versprochene Politikwechsel sei ausgeblieben. Ganze Bevölkerungsgruppen wie Erwerbslose oder prekär Beschäftigte sähen sich vom Landtag nicht vertreten, kritisiert der ehemalige Verdi-Gewerkschafter. Brennende Probleme wie der Mangel an Wohnungen blieben ausgeblendet. Ministerpräsident Winfried Kretschmann rede über Mittelstand, Digitalisierung und Ökologie, habe aber keine Botschaft für „die Leute, die sich durchkämpfen müssen im Alltag“. Und Vize-Regierungschef Nils Schmid (SPD) bringe es fertig, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in der Diskussion über die Reform der Erbschaftsteuer rechts zu überholen. Überdies wirke Schmid eher wie ein Buchhalter als ein Sozialdemokrat.

Ob Riexingers Rechnung aufgeht? Die Demoskopen taxieren auch die Linke auf vier bis fünf Prozent. Allerdings: eine Polarisierung verspricht auch der nächste Landtagswahlkampf – vielleicht nicht in der Schärfe wie 2011, aber doch sehr ausgeprägt. Die CDU drängt zurück an die Regierung, sie will die Abwahl 2011 unter allen Umständen als Betriebsunfall erscheinen lassen und ihren Charakter als Quelle von Macht und Karrieren im Land bewahren. Die Grünen werden nicht weniger hingebungsvoll ihre Sonderstellung als einziger Landesverband mit eigenem Ministerpräsidenten verteidigen. Die Sozialdemokraten könnten in diesem Titanenkampf leicht untergehen. Sie benötigen jede Stimme, weshalb sie die Linke besonders kritisch beäugen.

Grüne und SPD auf Distanz

Ein bis zwei Prozentpunkte nehme Riexinger der SPD womöglich weg, spekuliert ein sozialdemokratische Regierungsmitglied. Als Vorsitzender der Bundespartei verfüge Riexinger über eine gewisse mediale Präsenz. Es sei einigermaßen bekannt, sein Habitus bei aller inhaltlicher Schärfe fast schon bürgerlich. Andere Sozialdemokraten geben sich gelassener. „Ein Sympathieträger ist er nicht“, konstatiert ein Stuttgarter Genosse. Aber die große Koalition in Berlin spiele der Linken natürlich in die Hände. Denn große Koalition begünstigten immer kleinere Parteien.

Je mehr kleine Parteien ins Parlament gelangen, umso unwahrscheinlicher ist auch eine Mehrheit für Grün-Rot. Die Pointe eines Einzugs der Linken in den Landtag könnte also darin liegen, dass die CDU wieder den Ministerpräsidenten stellt. Riexinger sagt, sein Problem sei das nicht. Schließlich habe Grün-Rot eine Koalition mit der Linken ausgeschlossen.

„Wir sind nicht verantwortlich, wenn Guido Wolf Ministerpräsident wird“, sagt Riexinger. Außerdem hätten Grüne und SPD ihrerseits keine Skrupel: Wenn es für Grün-Rot nicht reiche, werde eine der beiden Parteien mit der CDU ins Bett gehen. Die Grünen um Kretschmann ignorieren die Linke bislang. Kretschmann selbst ließ noch nie erkennen, dass er mit den Linken etwas anfangen könne. Das liegt womöglich auch an seinem – als ehemaliger Maoist – renegatischen Verhältnis zu allen entschieden Linken. Als Ministerpräsident peilt er qua Amt die politische Mitte an. Verschärft er aber unter dem Druck steigender Flüchtlingszahlen seinen Kurs in der Flüchtlingspolitik, könnte ihn dies im linksgrünen Milieu Stimmen kosten.