Die FDP feiert ein Wahlergebnis, mit dem niemand gerechnet hatte. Dem umstrittenen Parteichef Philipp Rösler bringt es eine Atempause. Den internen Machtkampf hat er damit aber noch nicht gewonnen.

Berlin - Und was jetzt? Bei knapp zehn Prozent liegt die FDP. Ein Traumergebnis, viel mehr als bei der letzten Wahl, mehr als Wolfgang Kubicki in Schleswig-Holstein holen konnte, mehr auch als Christian Lindner in Nordrhein-Westfalen erzielte. Die Anhänger der FDP jubeln und toben, auch wenn zu dem Zeitpunkt noch nicht klar ist, ob Schwarz-Gelb weiterregieren kann. Zumindest hat man sich im Landtag gehalten mit einem Ergebnis, das noch vor wenigen Tagen keiner für möglich gehalten hatte.

 

FDP-Chef Philipp Rösler und der niedersächsische Spitzenkandidat Stefan Birkner hatten darauf gesetzt, dass genügend CDU-Anhänger FDP wählen, weil anders Amtsinhaber David McAllister nicht im Amt zu halten wäre. Die Rechnung ging auf. 80 Prozent der FDP-Wähler haben ihre Erststimme einem CDU-Kandidaten gegeben. Aber Rösler muss sich um solche Feinheiten nicht scheren. Es stimmt ja, was Hans-Dietrich Genscher noch am Freitag vor der Wahl in der Fußgängerzone Hannovers sagte. Ein Sieg in Niedersachsen, so Genscher, sei selbstverständlich ein Sieg für Rösler. Doch genau das ist das Problem.

Denn eigentlich hatten sich nahezu alle Landesverbände in die Hand versprochen, Rösler abzusägen, egal wie die Wahl in Niedersachsen ausgeht. Rösler wollte man im Falle einer Regierungsbeteiligung allenfalls den Ministerposten lassen. Spätestens am Montag in den Gremiensitzungen sollte die Sache über die Bühne gehen und Rainer Brüderle als letzte Hoffnung für die Bundestagswahl ausgerufen werden. Aber nun schießt der Balken der FDP in ungeahnte Höhen.

Rösler hat das Heft des Handelns wieder in der eigenen Hand. Er hat den niedersächsischen Wahlkampf zu seiner persönlichen Angelegenheit gemacht, hat sich in seiner Heimat engagiert wie kein Zweiter in der Bundespartei. Nicht einmal Rainer Brüderle hat die FDP in Niedersachsen noch aus der Kurve tragen können, als er überraschend die Forderung der Rösler-Gegner übernahm und einen vorgezogenen Parteitag forderte. Der Vorstoß war gedeutet worden als Ansage an Rösler, dass dieser unabhängig vom Wahlergebnis seine Koffer in jedem Fall packen kann. Nach dem Motto: Junge, du bist fällig. Aber wie fällig kann man sein bei rund zehn Prozent?

Röslers rechte Hand, der Generalsekretär Patrick Döring, weiß um die paradoxe Stimmungslage. Ob Rösler der richtige Parteichef sei? „Aber ja“, sagt Döring und erinnert an Genschers Worte: „Rösler ist Niedersachsen.“ Aber was jetzt passieren werde, will er nicht vorhersagen. Viel hängt davon ab, ob die Regierung fortgesetzt werden kann. Man müsse die Debatten in den Gremien abwarten, sagt Döring. „Doch jetzt freuen wir uns erst mal.“

Das gilt auch für die Hauptperson. Kurz nach 19 Uhr kommt Rösler in die Parteizentrale und erntet die Jubelrufe. „Philipp, Philipp“, schreien seine Anhänger. Er genießt es, zunächst nicht zu Wort zu kommen. Aber auf der Bühne steht er trotzdem allein. Die Präsidiumsmitglieder drängen sich an der Seite. „Wollen wir beide, Rainer?“, soll Rösler seinen Kontrahenten Brüderle während der Präsidiumssitzung gefragt haben. Der wollte nicht. Kein Bild sollte es geben gemeinsam mit Philipp Rösler, ein Bild der Eintracht wäre das gewesen, das Brüderle nicht zulassen will.

Rösler lässt sich die Gelegenheit zu feiern aber nicht nehmen. Das sei ein großer Tag für die Liberalen in ganz Deutschland, ruft er: „Egal, was die Demoskopen sagen: am Ende müssen wir die Sieger sein.“ Für den heutigen Montag hat der Parteichef angekündigt, eine Teamidee für die Bundestagswahl vorzustellen. Gut möglich, dass er Brüderle die Spitzenkandidatur anträgt, aber den Chefsessel weiter  besetzt hält. Entschieden werden muss dann auch über Brüderles Forderung, den Parteitag vorzuziehen, was Rösler eigentlich abgelehnt hatte.

Entwicklungsminister Dirk Niebel stellte noch am Abend klar, was Rösler erwartet. Das Ergebnis in Niedersachsen sei zwar toll, sagt Niebel. Auch in NRW und Schleswig-Holstein habe man triumphiert. Im Bund aber sei die Partei weiter am Boden. Der Wahlsieg sei vor allem ein Erfolg Stefan Birkners. Niebel bleibt dabei: auf Bundesebene müsse die Aufstellung eine andere sein, und auch der Parteitag müsse vorgezogen werden. Für Rösler ist das Rennen noch nicht zu Ende. Aber zumindest sehen seine Gegner nach diesem Abend nicht mehr wie die sicheren Sieger aus.

Dem Abschneiden der FDP hat der Regierungspartner in Hannover und Berlin, die CDU, mit einigem Bangen entgegengeblickt. Der Erfolg der FDP hat am Ende aber keine Euphorie ausgelöst. Kurz vor der ersten Prognose sind im Berliner Adenauerhaus noch einmal Reklameschilder verteilt worden, auf denen Sprüche zu lesen sind, die David McAllister hochleben lassen. Sie finden später jedoch kaum Verwendung. Die Leute, die die Schilder verteilen, rufen den Gästen eine klare Regieanweisung zu: „Jubel!“

Jubel kommt allerdings nur auf, als auf den Bildschirmen die gelben Balken der FDP weitaus höher wachsen, als das irgendeiner erwartet hatte. Ansonsten sind die meisten eher ernüchtert. Die Ersten, die hier vor die Kameras treten, geben Sprüche von sich, die fast schon nach Therapie klingen. Es gebe „keinen Grund zu Pessimismus“, sagt Schatzmeister Eckart von Klaeden. Er berichtet von kuriosen Erlebnissen während der ersten Wochen dieses Jahres. „Ich habe noch nie so viele Neujahrsempfänge erlebt, bei denen mir die eigenen Leute ungefragt eröffnet haben, dass sie FDP wählen.“ Die Liberalen verdankten ihre unerwartete Stärke nur solchen „taktischen Wählern“.

Das unterstreicht der Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer, selbst ein Niedersachse: Die meisten hätten nur FDP gewählt, weil sie McAllister als Ministerpräsident halten wollten. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe will aus diesem Resultat noch keine Lehren für den Bundestagswahlkampf ziehen – ansonsten müsste er sich wohl eingestehen, dass auch uneingestandene Leihstimmenkampagnen aus dem Ruder laufen können. Gröhe unterstreicht, was für seine Chefin, Angela Merkel, mit Blick auf den Herbst im Vordergrund steht: „Die CDU geht als Erste ins Ziel.“ Und dies sei doch auf jeden Fall „ein Anlass, zuversichtlich zu sein“.