Am 1. April wird die EU-Milchquotenregelung nach 31 Jahren abgeschafft. Der Bundesverband der Milchviehhalter befürchtet, dass dadurch die Preise noch stärker unter Druck geraten. Der Bauernverband erwartet dagegen bessere Exportchancen.

Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)

Stuttgart - Am 1. April beginnt für Milchbauern eine neue Zeitrechnung. An diesem Tag fällt die EU-weite Quotenregelung – 31 Jahre nach ihrer Einführung 1984. Damals war Matthias Brauchle gerade mal fünf Jahre alt. Heute hält der Landwirt in Leutkirch im Allgäu 60 Kühe, die zweimal am Tag gemolken werden. Im Durchschnitt gibt jede im Jahr mehr als 8500 Liter Milch. Seit Brauchle sich erinnern kann, legte die Quote fest, wie viel Milch er bei der Molkerei abliefern durfte. Auch auf der Grünen Woche, die am Freitag in Berlin beginnt, beschäftigen sich etliche Pressekonferenzen und Gesprächsforen mit den Folgen der Abschaffung der Milchquote.

 

Um mehr produzieren zu dürfen, mussten Milchbauern bisher an der Quotenbörse Lieferrechte zukaufen – von Landwirten, die ihre Produktion verringern oder aufgeben wollten. So bremste die Quote die Expansion wachstumswilliger Betriebe. Nun fällt diese Hürde. Vor allem in Nord- und Ostdeutschland stünden deshalb schon viele Milchbauern in den Startlöchern, um „richtig Gas zu geben“, sagt Romuald Schaber, der Vorsitzende des Bundes Deutscher Milchviehhalter (BDM). Auch andere EU-Länder wollten mehr produzieren. In Süddeutschland, wo die Höfe im Durchschnitt kleiner sind als im Norden, sei die Neigung zur Expansion weniger ausgeprägt.

So auch bei Matthias Brauchle. „Ich bleibe auch ohne Quote bei 60 Kühen“, sagt der Landwirt. Stall und Melkanlage auf seinem Hof sind relativ neu. Da sei es betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll, schon wieder in neue Technik zu investieren, meint Brauchle. Stattdessen hat er „als zweites Standbein neben der Milchwirtschaft“ eine Biogasanlage gebaut. Diese Strategie ist nachvollziehbar, denn das Geschäft mit der Milch ist seit jeher von starken Preisschwankungen gekennzeichnet.

Heftige Preisschwankungen trotz Quote

Daran hat auch die Quote nicht viel geändert. Seit ihrer Einführung haben sich die Erzeugerpreise um bis zu 20 Cent pro Kilogramm Milch hin- und herbewegt. Derzeit befindet sich der Markt wieder in einer schwierigen Phase. Von 42 Cent und mehr vor rund einem Jahr ist der Preis, den die Bauern für ihre Milch bekommen, je nach Molkerei unter 30 Cent pro Kilogramm gefallen. Hauptursachen sind die wegen der positiven Preisentwicklung im Jahr 2013 weltweit gestiegene Produktion und Absatzprobleme in Exportmärkten – etwa in Russland. Mit dem Ende der Quote werde sich der Abwärtstrend der Milchpreise verschärfen, befürchtet Schaber: „In den kommenden Monaten wird so manchem Milchviehhalter Hören und Sehen vergehen“, prophezeit der Milchbauernvertreter, der selbst 45 Kühe hält. In der Konsequenz würden noch mehr Betriebe als bisher die Produktion aufgeben.

Sinkende Milchpreise hatten 2008 den ersten Milchstreik des BDM ausgelöst. Damals schütteten wütende Landwirte ihre Milch wegen der ihrer Ansicht nach zu niedrigen Preise lieber weg, als sie abzuliefern. Milch ist für Deutschlands Bauern mit Abstand das wichtigste Produkt. Mehr als ein Fünftel der Gesamterlöse der hiesigen Landwirtschaft entfielen im vergangenen Jahr auf Milch – rund zwölf Milliarden von insgesamt 55 Milliarden Euro.

Was den Milcherzeugern Sorge bereitet, schont das Budget der Verbraucher. Sie können sich über günstige Milch- und Milchprodukte freuen, die vom Handel oft als Lockmittel eingesetzt werden. In der aktuellen Marktsituation – eine Produktion, die den Bedarf in der EU übersteigt und ein schwächelnder Export – haben die Einkäufer der Handelsketten bei Preisverhandlungen mit den Molkereien leichtes Spiel.

Strafen für Quotensünder bringen nichts

Während der BDM, der rund 17 000 Milchviehhalter vertritt, eher mit Sorge auf das Ende der Quote blickt, weint der Deutsche Bauernverband (DBV) der Regelung nicht nach. Die vergangenen 31 Jahre hätten bewiesen, dass die staatliche Mengenregulierung ihre Ziele verfehlt habe, sagt DBV-Vizepräsident Udo Folgart. Tatsächlich wurden die erlaubten Mengen immer wieder überschritten. Daran änderte auch die Superabgabe nichts – eine Strafe, die Milchviehhalter zahlen müssen, die sich nicht an die Quote halten. Im abgelaufenen Wirtschaftsjahr 2013/14 mussten die deutschen Quotensünder 163 Millionen Euro berappen, weil sie zwei Prozent zu viel Milch abgeliefert hatten. Hinzu kommt, dass Brüssel immer wieder zusätzliche Quoten ausgegeben hat. Teilweise wurde die Mengensteuerung auch durch fragwürdige politische Tauschgeschäfte ausgehebelt. So stimmte etwa Italien einer EU-Richtlinie zur Zinsbesteuerung erst zu, nachdem Brüssel dem Land fällige Strafzahlungen für die Überschreitung seiner Milchquoten stundete. Zuletzt wurden die zulässigen Liefermengen mit Blick auf den Quotenausstieg schrittweise erhöht.

Bessere Perspektiven für Milchbauern soll nach Ansicht des Bauernverbandes vor allem der Export bringen. Schon jetzt geht nach Angaben des Milchindustrie-Verbands knapp die Hälfte der von deutschen Molkereien verarbeiteten Milch in Form von Trinkmilch oder Milchprodukten in den Export. „Die Ausrichtung der europäischen Milcherzeugung auf nationale und internationale Märkte ist trotz momentan sinkender Milchpreise der richtige Weg“, meint Folgart, der auch für die SPD im Brandenburger Landtag sitzt. Ohne die Quote und die daraus resultierenden Kosten könne man besser Absatzmärkte im Ausland erschließen. Vor allem in Schwellenländern werde die Nachfrage in den kommenden Jahren weiter steigen.

Der Allgäuer Milchbauer Brauchle will dem nicht widersprechen, sieht aber auch Nachteile in einer starken Exportabhängigkeit. Globale Krisen könnten sich dann noch stärker auf die hiesigen Märkte auswirken. Die Landwirte werden sich wohl auch auf stärkere Preisbewegungen einstellen müssen. BDM-Chef Schaber fordert für die Zeit nach der Quote ein „Sicherheitsnetz“ für den Milchmarkt. Es soll greifen, wenn eine Marktbeobachtungsstelle eine „schwere Marktverwerfung“ feststellt. Landwirte, die freiwillig weniger produzieren, würden dann zum Ausgleich einen Bonus erhalten. Der Milchindustrie-Verband, der 95 Prozent der deutschen Molkereien vertritt, hält ein solches Modell aber nicht für praktikabel. So lägen die erforderlichen Marktdaten immer erst mit einer Verzögerung von zwei bis drei Monaten vor.