Aufgrund sinkender Preise stehen Bauern deutschlandweit unter Druck. Neue wissenschaftliche Methoden versprechen Abhilfe. Mit ihnen können Landwirte in Zukunft exakt bestimmen, wie leistungsfähig ihre Tiere im Stall wirklich sind. Die Effizienz hält endgültig Einzug in die Landwirtschaft.

Freising -

 
Herr Götz, was ist der Unterschied zwischen einer Kuh vor hundert Jahren und einer Kuh von heute?
Das Leistungsniveau unserer Rinder war vor hundert Jahren bei weitem noch nicht so hoch entwickelt. Eine Durchschnittskuh hat vor 100 Jahren etwa 2000 bis 2500 Liter Milch gegeben. Heute gibt eine bayerische Durchschnittskuh rund 7200 Liter im Jahr. Im Bundesdurchschnitt liegen wir bei 8.600 Litern, einzelne Kühe erreichen deutlich über 10.000 Liter. Das liegt aber nicht nur am Zuchtfortschritt, auch Haltung, Fütterung und Tierbetreuung haben daran einen großen Anteil.
Wie viel Milch kann eine Kuh rein theoretisch überhaupt jährlich geben?
Schon heute geben einzelne Kühe der Rasse Holstein bei entsprechender Haltung und Pflege zwischen 16.000 und 17.000 Liter Milch im Jahr. Mittels Genomanalyse haben amerikanische Wissenschaftler Hinweise auf die theoretisch mögliche Milchleistung herausgefiltert. Daraus geht hervor, dass Melkmengen von bis zu 25.000 Litern Milch pro Jahr möglich sein müssten. Das wären rund 70 Liter pro Tag und Tier.
Wann wird es Herden mit solchen Kühen geben?
Ich glaube nicht, dass wir das jemals erleben werden.
Warum das? Je mehr Milch die Kuh gibt, desto besser für den Bauern, oder nicht?
Für den einzelnen Betrieb mag das eine Zeit lang so sein. Langfristig ist das aber nicht sinnvoll. Und volkswirtschaftlich betrachtet geht die Rechnung gleich gar nicht auf.
Das müssen Sie erklären?
Eine Kuh ist nicht nur ein Milch- sondern auch ein Fleischlieferant. Beide Produkte müssen in einem bestimmten Verhältnis stehen, um die Nachfrage ökologisch und damit volkswirtschaftlich optimal befriedigen zu können. Wenn alle Kühe jetzt plötzlich doppelt so viel Milch geben würden, würde die Anzahl der Tiere in den Ställen über kurz oder lang beträchtlich sinken, weil es ja nicht mehr Menschen gibt, die die Milch trinken. Dann gäbe es aber viel zu wenig Fleisch. Aus diesem Grund müsste man zusätzliches Fleisch mit reinen Fleischrindern erzeugen, was durch den hohen Methanausstoß eine extrem schlechte CO2-Bilanz ergäbe.
Wo steht der Züchtungsfortschritt denn gerade?
Wir haben den Fokus in den vergangenen 10 Jahren deutlich von der Leistung hin zu anderen Merkmalen verschoben. Das erfordern auch die stärkeren Schwankungen der Milchpreise. Die Tierzucht muss ihre Prämissen anpassen und andere Charakteristika besser hervorarbeiten.
Welche Merkmale stehen da aktuell im Vordergrund?
Es geht beispielsweise um Gesundheitsmerkmale, die auch gesellschaftlich immer wichtiger werden. Wir wollen nicht nur nicht nur leistungsstarke-Kühe, sondern auch vitale Tiere. Allerdings ist die Milchleistung nach wie vor ein wichtiges Kriterium bei der Zucht. Aber wir haben auch die Fleischleistung wieder etwas angehoben. Ein Rind setzte vor 100 Jahren etwa 800 Gramm pro Tag neues Fleisch an. Heute liegen wir bei rund 1400 Gramm täglicher Fleischzunahme für ein wachsendes männliches Rind. Auch in diesem Merkmal sind noch deutliche Steigerungen möglich.
Wie weit sind wir noch von der Designerkuh entfernt?
Meine Einschätzung ist, dass wir Designerkühe oder Designer-Schweine nie bekommen werden.
Warum?
Anders als bei Pflanzen können wir Tierzüchter keine Tiere produzieren, die Nachkommen produzieren, die wieder genauso sind wie die Eltern. Wir können auch nicht hundertprozentig vorhersagen, wie ein Tier werden wird. Wir können aber Tendenzen sehr gut bestimmen. Wir hier am Institut für Tierzucht in Grub arbeiten an der Genomanalyse, das heißt wir lesen aus dem Genom heraus, wie viel gute und wie viele schlechte Eigenschaften die Tiere in sich vereinen. Dabeinehmen wir keine Eingriffe im Genom vor.
Was genau können Sie in den Genen der Tiere schon lesen und zu welchem Zeitpunkt?
Die Wissenschaft kann heute schon weit vor der Geburt des Tieres rund 50 prägende Merkmale recht treffgenau bestimmen. Dazu gehört beispielsweise die Milchleistung, die Fleischleistung und der zukünftige gesundheitliche Zustand - also etwa ob Euterentzündungen drohen. Aber auch das Aussehen lässt sich schon sehr gut im vor hinein abschätzen. Wird das Tier flache oder hohe Klauen haben oder ein eher schmales oder eher breites Euter? Wie wird die Stellung der Zitzen sein? Wie schwer wird das Rind werden und wie groß? All das lässt sich schon von der befruchteten Eizelle an vorhersagen. Außerdem können wir heute schon Sperma herstellen, aus dem nur entweder männliche oder weibliche Nachkommen entstehen.
Wie wird solches Wissen die Landwirtschaft verändern?
Der Bauer wird sich in Zukunft eine Herde zusammenstellen können, die nahezu perfekt auf seine individuellen Bedürfnisse passt. Kurz nach der Geburt wird jedem Kalb ein Stück Gewebe entnommen und analysiert. So kann der Landwirt sich eine Herde von hervorragenden Milchkühen zusammenstellen oder vielleicht eine Gruppe von Tieren heranziehen, die etwas weniger Milch gibt, aber dafür besonders robust ist. Nicht passende Tiere kann er an andere Bauern abgeben. Das wird dazu führen, dass sich die Landwirtschaft weiter spezialisiert, aber auch effizienter wird.
Wann werden solche Methoden Standard in der Landwirtschaft?
In Ländern wie den USA oder Holland werden die Herden von innovativen Betrieben schon auf diese Art und Weise zusammengestellt. Teilweise passiert das schon seit Jahren. In Deutschland läuft das gerade an. Für alle Bauern die einen modernen, dynamisch-wachsenden Betrieb haben wollen und die hohe Ansprüche an ihr Einkommen stellen, wird diese auf Genanalyse basierende Herdenbewirtschaftung in wenigen Jahren auch in Deutschland zum Standard werden.