Die Deutschen haben bei der Leichtathletik-EM in Zürich nicht überzeugt, aber am Sonntag noch zweimal Gold geholt: durch Antje Möldner-Schmidt (3000 Meter Hindernis) und Christina Schwanitz im Kugelstoßen.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Zürich - Sie versucht es. Antje Möldner-Schmidt, 30, steht auf dem obersten Treppchen. Sie will nicht weinen. Doch die Emotionen sind zu groß, als die deutsche Hymne vom Band läuft.

 

Es ist einer der emotionalen Höhepunkte dieser EM, weil auch die Geschichte hinter der neuen 3000-Meter-Hindernis-Europameisterin so bewegend ist. 2010 kämpfte sie um alles. Lymphzellenerkrankung, Tumor in der rechten Schulter entfernt, Chemotherapien. Sie konnte ein Jahr nicht trainieren, aber sie wurde gesund. 2012 feierte sie schon ein großes Comeback, als sie bei der EM Dritte wurde. Und nun das. Zürich. 17. August 2014. Antje Möldner-Schmidt ist Europameisterin. „Ich bin überwältigt. Es ist unglaublich“, sagte sie. Zuvor hatte Christina Schwanitz Gold im Kugelstoßen gewonnen. Dazu glänzte die Sprintstaffel der Männer mit Silber. Es war ein Sonntag, der die mäßige deutsche Bilanz noch etwas aufhübschte.

Der Leistungssport hat eine Währung, die ähnlich hart ist wie der Schweizer Franken. Gold. Silber. Bronze. So war es schon immer. Das ist natürlich ein recht simples Modell angesichts der Komplexität des Hochleistungssports. Trainer und Funktionäre mögen dieses Ranking deshalb auch nicht. Und noch weniger mögen sie diese Tabelle, wenn sie so zu lesen ist, dass es vielleicht nicht so ganz optimal gelaufen ist. Wie jetzt in Zürich. Clemens Prokop, der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), sagt, dass das jüngste EM-Team seit 1990 (25,2 Jahre) „die Pflicht erfüllt“ habe. „Bei der Kür sind aber nicht alle Hoffnungen aufgegangen.“ Zum Beispiel die des Weitspringers Christian Reif, der mit 7,95 Meter nur Achter wurde.

In Zürich gab es so nur acht deutsche Medaillen, darunter viermal Gold. Es ist die schlechteste EM-Bilanz einer gesamtdeutschen Mannschaft und ein herber Rückschlag nach den deutschen Fortschritten der vergangenen Jahre. Vor zwei Jahren in Helsinki waren es 16 Medaillen, damals fehlten im Olympiajahr jedoch einige ausländische Topathleten. Dort, in Finnland, hatte man den Medaillenspiegel dennoch ziemlich lieb. In Zürich wiederum fehlten einige deutsche Stars.

Auf die Spitzenkräfte ist Verlass

Verlassen konnte sich der DLV auf seine Spitzenkräfte vor Ort: Olympiasieger Robert Harting (Diskus) und Weltmeister David Storl (Kugel) holten bemerkenswert souverän Gold. „Diese Leistungsträger setzen die Benchmarks für das Nationalteam auf dem weiteren Weg nach Rio“, sagt der DLV-Sportdirektor Thomas Kurschilgen. Das gilt auch für Christina Schwanitz: Als große Favoritin war die Kugelstoßerin nach Zürich gekommen. Und die WM-Zweite hielt dem Druck stand. Vier ihrer sechs Stöße hätten zum Sieg gereicht, der weiteste Versuch landete bei 19,90 Meter. Souverän gewann die 28-jährige Vizeweltmeisterin vor Jewgenia Kolodko (Russland/19,39 Meter). „Wie cool ist das denn?“, sagt sie: „Das ist ein großartiges Ergebnis.“ Die erst 21-jährige Lena Urbaniak von der LG Filstal wurde dabei Achte (17,77 Meter). Auch so ein deutsches Talent, das Richtung Rio aufgebaut wird; ein Viertel der deutschen EM-Teilnehmer war ja unter 22 Jahren alt.

„Wir sind mit einem jungen Team hier gewesen,“ sagt der Cheftrainer Idriss Gonschinska. Dazu gehört auch Marie-Laurence Jungfleisch mit ihren 23 Jahren. Die Hochspringerin aus Stuttgart wurde am Sonntag exzellente Fünfte. Jungfleisch, die für den LAV Tübingen startet, sprang dabei persönliche Bestleistung mit 1,97 Meter und ist auf einem sehr guten Weg nach Rio 2016. Auch ohne eine EM-Medaille.

Bei den 1500 Metern lässt Mekhissi-Benabbad das Trikot an

Wer sich übrigens je gefragt hat, wie es sich mit Wut im Bauch läuft, für den dürften am Sonntag die 1500 Meter die Antwort gegeben haben: schnell. Dort siegte der Franzose Mahiedine Mekhissi-Benabbad. Mahiedine Mekhissi-Benabbad? Genau, das ist jener Mann, der über 3000 Meter Hindernis disqualifiziert wurde, weil er sich bei seinem Sieg vor dem Zielstrich das Trikot ausgezogen hatte. Früh hatte er nun im Endlauf über die 1500 Meter attackiert – und mit diesem kraftvollen Vorstoß auch den hoch gehandelten Deutschen Homiyu Tesfaye (5./3:46,46) und Timo Benitz (7./3:47,26) in 3:45,60 Minuten keine Chance gelassen. Deren gute Leistungen zeigen übrigens auch, dass Edelmetall tatsächlich ein zu grober Gradmesser für Erfolg und Aufschwung sein kann: ihre Resultate spiegeln sich nicht im Medaillenspiegel wider. Was übrigens auch für den 25-jährigen Richard Ringer gilt: Der Deutsche wurde über 5000 Meter sehr guter Vierter, Arne Gabius belegte Rang sieben.

Den Titel über 1500 Meter jedenfalls holte sich der französische Ausnahmeläufer. Auf der Zielgeraden hatte Mekhissi-Benabbad wieder kräftig mit den Armen gerudert und um Ovationen gebeten, wie schon über die 3000 Meter Hindernis. Das Trikot ließ er diesmal wohlweislich an. Im Ziel wie auch auf seiner Ehrenrunde erntete er dennoch einige Pfiffe des Publikums.

Medaillen sind eben nicht alles.