Der Bundespräsident sagt seinen Besuch in der Ukraine ab. Er setzt damit das richtige Zeichen, befindet der StZ-Redakteur Christian Gottschalk.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Man kann ja nun wirklich nicht behaupten, dass die Treffen zentraleuropäischer Präsidenten zu den besonders wichtigen Zusammenkünften auf dieser Welt gehören. Zum 19. Mal kommen die Staatsoberhäupter in diesem Mai zusammen, besonders aufgefallen ist die Veranstaltung zuvor eigentlich nie. Mit seinem Schlag auf die diplomatische Pauke hat Joachim Gauck dies geändert und den Blick auf ein Land gelenkt, das in den vergangenen zwei Jahren eine beachtliche Rolle rückwärts vollzogen hat.

 

Die Ukraine war einst osteuropäischer Musterschüler in Sachen Demokratisierung, Pressefreiheit und Menschenrechte. Seit dem Wahlsieg von Viktor Janukowitsch vor gut zwei Jahren ist sie dabei, den zuvor erarbeiteten Kredit zu verspielen. Der Umgang mit der inhaftierten Oppositionsführerin Julia Timoschenko ist dabei nur die Spitze eines Eisberges. Es ist Janukowitschs Obsession geworden, all jene auszuschalten, die ihm in der Vergangenheit im Wege standen. Neben Timoschenko sitzen zwei Ex-Minister in Haft.

Dramatische Entwicklung in der Ukraine

Das ist eine sehr bedenkliche Entwicklung. Mindestens ebenso dramatisch sind jedoch die Ereignisse, die weitgehend im Verborgenen geschehen. Die ukrainische Justiz wurde gleichgeschaltet, die Machtfülle des Präsidenten erheblich erweitert, die Presse wird gegängelt, und kritische Journalisten verschwinden. In der Ukraine herrschen Zustände, die das Land bereits hinter sich gelassen hat. Man muss, man darf Julia Timoschenko nicht zu einer Heldin stilisieren. Die ehemalige Premierministerin ist beileibe kein Unschuldslamm. Trotzdem ist es unakzeptabel, was ihr in ihrer Heimat derzeit widerfährt. Da ist es richtig, dass der deutsche Präsident ein Zeichen gesetzt hat. Ob Joachim Gauck dies auch in der Zukunft so durchhalten kann, ist eine ganz andere Frage.

In gut sechs Wochen beginnt in der Ukraine die Fußball-Europameisterschaft. Kann jemand, der im Mai den Besuch verweigert, im Juni andere Maßstäbe ansetzen und das Land besuchen? Joachim Gauck wird sich dieser Überlegung stellen müssen. Auch andere Politiker müssen das. Und weil die Ukraine nicht der einzige Staat ist, der Menschenrechte missachtet, schließen sich weitere Überlegungen zwangsläufig an. Wird Gauck einmal Peking besuchen oder Moskau? Mit wem darf er sprechen, mit wem nicht? Etwas mehr als die Hälfte der Staaten auf dieser Welt gelten als nur eingeschränkt frei oder unfrei. Ist ihr totaler Bann der richtige Weg, oder ist es die vorsichtige Einbindung?

Einsatz für Menschenrechte ist relativ

Patentrezepte gibt es nicht, weder für die präsidentielle Reisediplomatie noch für die viel wichtigeren Beziehungen im tagtäglichen Politikgeschäft. Wer ehrlich ist, der wird zugeben, dass es nicht einmal eine eindeutige Haltung gibt. Der Einsatz für Menschenrechte ist relativ. Je größer die wirtschaftliche oder militärische Bedeutung eines Landes ist, desto mehr kann es sich ungesühnt erlauben. Das mag bedauerlich sein, aber so ist die Realität. Das bedeutet aber nicht, Einflussnahme dort zu unterlassen, wo sie möglich erscheint.

Die Ukraine ist ein Land, das sich mehrfach gewandelt hat. Die Revolution in Orange hat Hoffnung gemacht, diese ist dann zerstoben. Eine neuerliche Wandlung ist aber möglich. Die europäische Politik hat darauf bisher gar nicht so schlecht reagiert. Ein Assoziierungsabkommen mit der EU ist fertig verhandelt und liegt nun auf Eis. Die ukrainische Parlamentswahl im Oktober und der Umgang mit Timoschenko werden mit darüber Aufschluss geben, ob Europas größtes Land auch näher an die Union heranrücken kann. Die Brüsseler Taktik ist folgenreicher als die Besuchsverweigerung des deutschen Präsidenten. Die Absage Gaucks für das Treffen in Jalta ist nur ein symbolischer Akt. Dass Real- und Symbolpolitik Hand in Hand gehen, ist aber kein schlechtes Zeichen.