Am Gewerbegebiet Längenbühl in Leonberg werden Knochen und Werkzeuge aus der Jungsteinzeit gefunden. Wissenschaftler hoffen auf neue Erkenntnisse, wie die Menschen damals gelebt haben.

Leonberg - Es ist ein großer Zufall gewesen. Die Bagger, die sich 1989 in die Erde nördlich der Ditzinger Straße in Höfingen gruben, sollten eigentlich Vorarbeit leisten für das dort geplante Gewerbegebiet. Doch dann stießen sie auf Überreste von Siedlungen aus der Jungsteinzeit. Jahre dauerte die archäologische Erkundung des Gebietes. Dann am 1. Oktober 1993 die Sensation: Ein Skelett wird gefunden. Es ist noch ganz erhalten. Ein etwa zwölf Jahre altes Kind, das in Hockstellung, also mit angezogenen Beinen, begraben war. In Anlehnung an die kurz zuvor gefundene Gletschermumie „Ötzi“ tauften die Höfinger das kindliche Skelett „Höfi“.

 

Bald schon sollen in Leonberg erneut Bagger die Erde umgraben, um ein Gewerbegebiet zu schaffen, diesmal am Längenbühl am Westanschluss. Damit sie diesmal nicht unverhofft auf historische Bodenschätze stoßen, hat die Stadt schon vorher die Archäologen des Landesamtes für Denkmalpflege hinzugezogen. Nach den ersten Probegrabungen im Februar (wir berichteten) steht nun fest: Hier gibt es vermutlich noch einiges zu finden. Deshalb soll das Gelände, das im Flächennutzungsplan längst als Bodendenkmal ausgewiesen ist, bis November gründlich und komplett erforscht und dokumentiert werden. Einen entsprechenden Vertrag sollen die Stadt und das Denkmalamt unterzeichnen, beschloss der Gemeinderat. Die Entwicklung des Gewerbegebiets soll dann planmäßig im kommenden Jahr beginnen.

Hinweise auf frühzeitliche Siedlungen

Erste dokumentierte Funde im Bereich Längenbühl, etwa beim Straßenbau oder dem Verlegen von Gasleitungen, gab es bereits in den 30er-Jahren. Auch diesmal haben die Forscher Hinweise auf frühzeitliche Siedlungen gefunden: Tonscherben, Knochen und Fragmente von Steinwerkzeugen. Diese stammen zum einen aus der frühen Jungsteinzeit, etwa 5500 bis 5000 vor Christus, zum anderen aus der Eisenzeit, hier der Hallstattzeit (achtes bis sechstes Jahrhundert vor Christus). „Die eisenzeitlichen Menschen waren zwar noch nicht schwäbischen Ursprungs, aber sie waren schon sehr gründlich“, kommentiert der Stadtplaner Norbert Geissel die Funde. Denn diese wurden vor allem in Gruben gemacht. Zum Teil handelt es sich um Abfallgruben, in denen Essen gesammelt wurde, zum Teil auch um Vertiefungen zur Tierhaltung oder als Aufbewahrungsmöglichkeit, erläutert Kristin Koch-Konz. Die Leiterin des Stadtmuseums begleitete die Probegrabungen im Februar und steht in regem Austausch mit den Archäologen. Was diese nun am Längenbühl zu Tage fördern werden, darüber lässt sich nur spekulieren. „Ein Elti wäre eine Sensation“, sagt Koch-Konz. Vermutlich werden die Grabungen eher das Bild vervollständigen, welches die Wissenschaftler bereits von den Menschen der Jungsteinzeit hatten. „Aus dieser Zeit gibt es keine schriftlichen Überlieferungen. Dennoch kommen immer neue Erkenntnisse hinzu“, sagt die Museumsleiterin. Wann die Grabungen beginnen, ist noch nicht klar.

Nicht alle sind jedoch mit dem Einsatz der Archäologen einverstanden. Jörg Langer (Freie Wähler), selbst Landwirt aus Eltingen, bemängelt vor allem, dass die Grundstückseigentümer am Längenbühl nicht genug einbezogen wurden. „Die Stadt hat die Grabungen nicht rechtzeitig angemeldet. Die Landwirte haben im Herbst ausgesät“, sagt der Stadtrat. Seine Kritik bewegt sich auf zwei Ebenen. Zum Einen müssten Bauern über einen Zeitraum von fünf Jahren planen, etwa um die Fruchtfolge einzuhalten. So soll der Boden nicht zu stark durch nur eine Nutzpflanze ausgelaugt werden und die Bauern kauften entsprechendes Saatgut ein. Zum anderen handele es sich bei den Grundstücken im Moment noch um sogenannte Optionsflächen für das Gewerbegebiet. „Was ist, wenn da zehn oder 15 Jahre nichts passiert?“, fragt Langer. Sollen die Landwirte so lange ihre Flächen nicht bestellen? Zudem sei nach den archäologischen Grabungen der Boden nicht mehr so gut, da die besonders fruchtbare oberste Schicht, der Humus, dann abgetragen sei.

Landwirte sind sauer

Der Leonberger Oberbürgermeister weist die Vorwürfe gegen die Stadtverwaltung zurück. „Das Schild ‚Achtung, da kommt was‘ steht schon lange“, sagt Bernhard Schuler. Das Angebot, einen Optionsvertrag abzuschließen, hätten im vergangenen Jahr dennoch nicht alle Landwirte angenommen. „Dass dieses Gebiet ein Bodendenkmal ist, weiß man spätestens seit 2009, als der Flächennutzungsplan beschlossen wurde“, meint der Stadtplaner Geissel. Bei Bauarbeiten sei also damit zu rechnen, dass historische Funde gemacht werden. „Entweder, wir stellen uns der Aufgabe als Stadt jetzt – und das mit allen Konsequenzen. Oder in einem Jahr, wenn die Optionen vollzogen werden, kommen die Bagger und finden etwas“, sagt Norbert Geissel. Dann müsse der Denkmalschutz ran und zwar für mindestens ein halbes Jahr.