Dietmar Böhringer aus Warmbronn führt Vorschulkinder an das Singen heran. Nicht zuletzt deshalb wurde der engagierte Ruheständler im vergangenen Jahr zum „Stuttgarter des Jahres“ gewählt.

Leonberg - Nachdem die Oma mit ihrem Motorrad im Hühnerstall gefahren ist, Kuh Babette sich im Walzerschritt wog und die Schulranzenwanzen im Schulranzen tanzten, geht die Post so richtig ab – oder besser gesagt, die Polonaise durch das Spielzimmer. „Ja ja jippi, jippi jeh“, schallt es aus den Kehlen der Nachwuchssänger, die von Dietmar Böhringer mit der Gitarre begleitet werden. „Kinder haben einen starken Bewegungsdrang“, sagt er. Deshalb sei es beim Singen wichtig, mehrere Sinne anzusprechen. „Außerdem können sie sich so auch den Text besser merken“, weiß er.

 

Dietmar Böhringer kennt die kleinen Tricks, wie man die Kleinen bei der Stange hält. Seit elf Jahren ist er „Singepate“ im Warmbronner Kinderhaus. Jeden Donnerstag trommelt er die Drei- bis Fünfjährigen zusammen, um vornehmlich traditionelle Kinderlieder zu singen. „Das ist mir wichtig, damit sie auch gemeinsam mit ihren Großeltern singen können“, erklärt der Warmbronner. Im Schnitt seien es um die 20 Teilnehmer, manchmal sogar bis zu 60. „In den Ferien sitze ich aber schon mal mit drei Kindern im Stuhlkreis.“

Engagement auch im Ruhestand

Als Böhringer, der als Lehrer in der Stuttgarter Nikolauspflege Blinde und Sehbehinderte unterrichtet hatte, nach 36 Dienstjahren in den Ruhestand ging, und damit, so schien es zumindest, auch sein Engagement im dortigen Chor enden sollte, suchte er eine neue Herausforderung. „Ich habe schon mit Grundschulkindern, Erwachsenen und Senioren gesungen, aber noch nicht mit Vorschulkindern, und so sagte ich mir, das wäre doch mal interessant“, erklärt der Diplom-Pädagoge.

Für seine Aufgabe hat er sich von der Stiftung „Singen mit Kindern“ zum Singepaten ausbilden lassen. Deshalb weiß er, worauf es beim Singen im Kinderhaus ankommt. „Besonders wichtig ist das Einsingen“, sagt der 74-Jährige und gesteht: „Anfangs hatte ich Scheu, die etwas stumpfsinnigen Stimmübungen zu machen, aber ich merkte schnell, dass es den Kindern Spaß macht.“

Kinder in diesem Alter sängen noch unrein. „Mit kurzen Phasen in unterschiedlichen Tonhöhen kann reines Singen eingeübt werden“, weiß er. Neben Bewegungen spiele aber auch die Gestik eine wichtige Rolle. „Es ist belebend, wenn die Kinder bim Singen gestikulieren“, sagt Böhringer, der auch schon mal einen Schützling in eine weiße Tischdecke packt, dann zaubert er noch einen Schal, einen Topf und eine Möhre aus seiner Tasche, und fertig ist der Schneemann, der „weint, wenn die Sonne scheint“. Und am Ende der halben Stunde darf jeder an seiner Gitarre zupfen. Klar, der Ansturm ist riesig!

Singen fördert die geistige Entwicklung

„Heute wird zu Hause kaum noch gesungen“, weiß er. Dabei gilt: Je früher die Kinder mit dem Singen anfangen, desto besser. „Es ist längst bekannt, dass Singen nicht nur die Bildung einer gut artikulierten Stimme fördert, sondern auch Impulse für die sozialen Fähigkeiten und die geistige Entwicklung der Kinder liefert“, sagt Böhringer, der regelmäßig feststellt: „Viele Kinder setzen sich rein, aber kriegen den Mund nicht auf, weil sie gar nicht wissen, dass sie dazu in der Lage sind.“ Deshalb lässt er beim Eltern-Café die Kleinen mit den Großen singen.

Der engagierte Ruheständler kam schon früh mit Musik in Berührung. „Bei uns zu Hause wurde immer viel gesungen“, berichtet er. Als Zehnjähriger spielte er auf der Violine, dann kam noch die Gitarre dazu. Später leitete er Jugendgruppen. Nachdem es ihn nach Stuttgart verschlagen hatte, gründete er den „Singkreis der Nikolauspflege“, der heute „Der etwas andere Singkreis” heißt. „Den Anstoß gaben die Schüler selbst, die in Pausen mehrstimmige Chorsätze übten“, erzählt der Mann, der von da an mit seiner Gitarre im Klassenzimmer aufschlug. Heute ist der Chor immer wieder bei Gottesdiensten zu hören.

So wurde er „Stuttgarter des Jahres“

Für sein dortiges Engagement – er organisierte unter anderem mehr als 50 Chorfreizeiten, bei denen er öfters aus der eigenen Tasche zuschoss – aber auch für die Basisarbeit in Warmbronn sowie den unermüdlichen Einsatz für barrierefreies Wohnen wurde er 2016 zum „Stuttgarter des Jahres“ gewählt – ein Ehrenamtspreis der Stuttgarter Zeitung und der Stuttgarter Versicherung. Was Letzteres angeht, so hat er übrigens bundesweit Vorträge gehalten, drei Bücher verfasst und in unzähligen Artikeln dargelegt, dass Barrierefreiheit nicht bei rollstuhlgerechten Zugängen enden darf. Einige seiner Untersuchungsergebnisse wurden sogar zu deutschen Normen.

Im Kinderhaus Warmbronn ist man froh, dass Dietmar Böhringer donnerstags vorbeikommt. „Für die Kleinen ist das immer ein Höhepunkt – und er kann wirklich gut mit Kindern”, befindet die Erzieherin Stefanie Pfaundler. Und mit seinen 74 Jahren denkt der Warmbronner noch lange nicht an Abschied. „Ich pflege immer zu sagen: Ich hoffe, dass ich den richtigen Zeitpunkt zum Aufhören finde“, sagt er und schiebt lächelnd hinterher: „Im Augenblick habe ich den Eindruck, der Zeitpunkt ist noch nicht gekommen!“