Die Zahl der Demenzkranken ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. 44 Millionen Menschen sind weltweit betroffen. Der Tübinger Hirnforscher Mathias Jucker erläutert in der StZ-Leser-Uni die Ursachen von Alzheimer.

Stuttgart - In Deutschland leidet jeder dritte Mensch, der das achtzigste Lebensjahr hinter sich hat, an irgendeiner Form der Demenz – die Alzheimer’sche Krankheit ist die häufigste Variante davon. Doch woher kommt dieses Leiden? Diese Frage und viele weitere Aspekte der Erkrankung erörtert Mathias Jucker in seinem Vortrag „Alzheimer – den Ursachen auf der Spur“.

 

Hier geht es zur Anmeldung für die StZ-Leser-Uni!

Der Neurowissenschaftler erforscht am Tübinger Hertie-Institut für Klinische Hirnforschung und am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) die Grundlagen des Hirnleidens. Jucker ist überzeugt davon, dass der Niedergang der Nervenzellen im Gehirn eines Alzheimerpatienten auf dem sogenannten Prion-Prinzip beruht: Dabei zwingen falsch gefaltete Prionproteine dem perfekt strukturierten Pendant im Gehirn wie mit einer Art Schablone ihre Form auf – mit dem Ergebnis, dass Nervenzellen massenhaft zugrunde gehen, sodass das Hirn eines an diesem Altersleiden verstorbenen Menschen aussieht wie ein Schwamm.

Weil diese Erkrankung immer mehr Menschen betrifft, finden Meldungen aus den wissenschaftlichen Forschungsinstituten oft den Weg in die Massenmedien. Einige dieser Theorien hören sich abstrus an, andere stammen aus dem Bereich der Mythen. Manche Theorien haben sich erübrigt, andere erleben eine Renaissance. Dazu gehören beispielsweise:

Zerstört Aluminium Neuronen?

In den 70er- und 80er-Jahren galten Aluminium aus dem Trinkwasser oder Verunreinigungen der Nahrung zu den wichtigsten Risikofaktoren, um an Alzheimer zu erkranken. Doch zahlreiche Untersuchungen zeigten: Einen endgültigen Beweis gibt es nicht. Die Aluminiumhypothese wurde belächelt und ad acta gelegt. Jetzt gibt es eine neue Studie aus Italien im Fachmagazin „Clinical Biochemistry“, die zeigt, dass Aluminium versteckt in einem eisenhaltigen Speichereiweiß im Gehirn doch toxisch wirken könnte.

Ist Zucker ein Risikofaktor?

Diabetiker vom Typ 2 erkranken im Alter doppelt so häufig an Alzheimer wie Gesunde. Typ-2-Diabetes erhöht sowohl das Risiko für Herzerkrankungen als auch das für Schlaganfälle. Beides kann eine Schädigung der Blutgefäße zur Folge haben, und Forscher glauben, dass geschädigte Blutgefäße im Gehirn zu Alzheimer beitragen könnten. Außerdem benötigen Hirnzellen sehr viel Energie, was durch Diabetes beeinträchtigt werden kann, da die Erkrankung die Fähigkeit des Körpers bremst, Zucker aufzunehmen, um die nötige Energie zu erzeugen.

Sind zickige Frauen gefährdet?

Schwedische Forscher haben über viele Jahre hinweg immer wieder Frauen befragt und festgestellt: Unausgeglichene, launische Damen scheinen ein größeres Risiko zu haben am Altersleiden zu erkranken im Vergleich zu ihren sanften, introvertierten Artgenossinnen, wie das Fachmagazin „Neurology“ berichtete. Frauen, die sich in den Tests der Forscher als sehr neurotisch gezeigt hatten, entwickelten häufiger eine Demenz. Allerdings, so schränkten die Forscher selbst ein, könne von der Persönlichkeit nur schwer auf die Erkrankung geschlossen werden. Möglicherweise könnte vielmehr Stress eine Rolle beim Untergang der Neuronen eine Rolle spielen.

Ist Alzheimer ansteckend?

Wer den Begriff Prion hört, denkt automatisch an den Rinderwahnsinn – gefolgt von der Schlussfolgerung, dass eine Prion-Erkrankung ansteckend sein müsste. Doch trotz der Prion-Gemeinsamkeiten der beiden Erkrankungen gebe es bis jetzt keinen Hinweis darauf, dass Alzheimer ähnlich wie BSE auf natürlichem Weg übertragen werden und damit ansteckend sein könnte, sagt Mathias Jucker.

Der Referent Mathias Jucker

Forschung Noch vor wenigen Jahren wurde Mathias Jucker ungläubig angestarrt oder gar belächelt, wenn er auf Kongressen und Konferenzen seine Prion-Theorie vertrat. Demnach verursacht ein falsch gefaltetes Eiweiß, das sich wie ein Schwelfeuer ausbreitet, das Hirnleiden Alzheimer. Inzwischen gehört der Zellbiologe vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung der Uni Tübingen zu den renommiertesten Alzheimerforschern weltweit. Mit mehr als 100 Publikationen hat er es mit seiner Theorie in hochrangige Zeitschriften wie „Nature“ oder „Science“ geschafft und viele Preise gewonnen.

Zukunft Der 53-jährige Wissenschaftler konzentriert sich bei seinen grundlegenden Forschungsarbeiten nicht nur auf Tierversuche. Jucker, dessen Schweizer Herkunft unverkennbar zu hören ist, hat sich zudem einem Projekt gewidmet, das sich direkt mit den betroffenen Menschen beschäftigt: In der internationalen Initiative DIAN (Dominantly Inherited Alzheimer Network), die 2008 in den USA gegründet wurde, erfasst man eine Minderheit von Patienten, die an der sehr seltenen, vererbten Form von Alzheimer leiden. Jucker sucht nach Betroffenen, um sie in die Studie aufzunehmen.