Was die einen vor allem im Urlaub machen, macht ein Literaturredakteur das ganze Jahr: lesen bis die Schwarte kracht. Er wirft sich wacker in den reißenden Strom der Neuerscheinungen und muss trotzdem mit ansehen, wie vieles an ihm unwiderruflich vorbei treibt.

 

Stefan Kister Foto: Foto: Achim Zweygarth
Doch angenommen, er müsste sich nicht auch im Urlaub um die aktuelle Lesefracht kümmern, die in den nächsten Wochen und Monaten anlanden wird, dann, ja dann tauchte er zurück in die Tiefen der Vergangenheit: dorthin, wo das Schiff des Seemanns „Ned Myers“ ankert, dessen Geschichte James Fenimore Cooper aufgeschrieben hat in der berechtigten Hoffnung, dass das Leben eines noch so gewöhnlichen Menschen für den Leser interessant wäre, würde man es nur gewissenhaft nacherzählen (Mare Verlag, 352 Seiten, 28 Euro). Oder in das Jahr 1642, in dem eine Frau mit einem Schandmal auf der Brust auf dem Marktplatz von Boston steht – ihre Geschichte erzählt Nathaniel Hawthorne in einem der großartigsten Romane des 19. Jahrhunderts („Der scharlachrote Buchstabe“, Hanser Verlag, 480 Seiten, 27,90 Euro). Oder noch weiter zurück in das Frankreich des 16. Jahrhunderts: dort nämlich finden sich zwanzig kluge Antworten auf die Frage „Wie soll ich leben?“. Die englische Biografin Sarah Bakewell leitet sie aus dem Werk des französischen Philosophen Michel de Montaigne ab (Beck Verlag, 416 Seiten, 24,95 Euro). Und warum man sich mit Montaigne beschäftigen soll, hat Flaubert einmal bündig beantwortet: „Lesen Sie ihn, um zu leben“.

Stefan Kister ist Literaturredakteur, wandert gerne und erprobt eine Technik, auch während des Gehens zu lesen.